KAPITEL XIII
Der Wiederaufbau
Gründung der Max-Planck-Gesellschaft
111
In den letzten Kriegsmonaten hatte Dr. ERNST TELSCHOV die Gene-
ralverwaltungder Kaiser- Wilhelm-Gesellschaft nach Göttingen ver-
legt. Die Bilanz nach dem Zusammenbruch war niederschmetternd:
der Großteil der Institute war zerstört, Mitglieder tot oder verschollen,
die Gehaltszahlungen eingestellt, die Verbindungen untereinander
abgerissen. Der Präsident der Gesellschaf't, Generaldirektor ALBERT
VÖGLER, der seit 1941 als Nachfolger von CARL BOSCH amtierte, hatte
nach dem Zusammenbruch seinem Leben selbst ein Ende gesetzt.
In Berlin wurde ein für die ganze Stadt zuständiger Oberbürgermeister
und der Magistrat von der sowjetischen Militärverwaltung ernannt,
Noch vor dem Einzug der Westalliierten setzten Oberbürgermeister
und Magistrat ihrerseits Dr. ROBERT HAVEMANN, einen überzeugten
Altkommunisten, zum „vorläufigen Leiter der Kaiser-Wilhelm-Ge
sellschaft“ ein.
HAVEMANN erklärte am 6, Juni 1945 in einer „Anordnung“: „Ich habe
mein Amt mit dem heutigen Tage übernommen und übe damit die
Rechte und Aufgaben des Präsidenten der Kaiser- Wilhelm-Gesell-
schaft in vollem Umfange satzungsgemäß und zugleich im Sinne der
neuen Sach- und Rechtslage aus.“
Sofort hob HAVEMANN die Vollmachten des Generalsekretärs Dr.
Telschow auf und versuchte, die Institute und die Konten der Gesell-
schaft in allen Besatzungszonen in die Hand zu bekommen.
In dieser gefährlichen Lage war es ein Lichtblick für die Gesellschaft,
als der alte MAX PLANCK in Göttingen auftauchte, PLANCK hatte
Furchtbares erlebt, Wenige Monate vor der Kapitulation war sein
Sohn ERWIN zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. ERWIN
PLANCK wußte über den Militärputsch des 20. Juli 1944 Bescheid,
außerdem gehörten einige seiner Freunde zum Kreis der Verschwörer.
Alle vier Kinder aus der ersten Ehe PLANCKS waren nun nicht mehr am
Leben; geblieben waren ihm nur die zweite Frau MARGA und das ein-
zige Kind aus seiner zweiten Ehe, der Sohn HERMANN, Dieser Sohn
aber, der den edlen Kopf der PLANCKs hatte, war unverkennbar debil,
„Erfolg, Ehren, Anerkennung, innere Befriedigung irn Bewußtsein
größter Leistung- und doch vom bittersten Unglück verfolgt sein gan-
zes Leben lang, immer ärger, immer ärger, genau wie im Buch HIOB“,
sagte damals ein Kollege über PLANCK.
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Der Luftangriff auf Berlin in der Nacht vom 15. auf den 16. Februar
1944, der OTTO HAHNS Kaiser- Wilhelm-Institut für Chemie in Trüm-
mer legte, zerstörte auch PLANCKS Haus im Grunewald, Wangenhei-
merstraße 21. PLANCK wohnte schon damals mit seiner Frau im Guts-
hof des Industriellen CARL STILL in Rogätz an der Elbe. Hier geriet er
in den letzten Tagen des Krieges zwischen die Fronten; mit vielen an-
deren Flüchtlingen mußte der durch eine schwere Arthrose fast bewe-
gungsunfähige 87jährige im Freien biwackieren.
Als sich amerikanische Wissenschaftler bei den deutschen Kollegen in
Göttingen über ihre Arbeiten während des Krieges erkundigten, er-
fuhren sie vom Schicksal PLANCKS. Am 16. Mai wagte der amerikani-
sche Astrophysiker GERARD P. KUIPER die Fahrt nach Rogätz, Er fand
PLANCK elend und verzweifelt vor. Obwohl es strikt verboten war,
Deutsche aus dem Gebiet zu evakuieren¬ das von der sowjetischen Be-
satzungsmacht übernommen werden sollte, brachte KUIPER MAX und
MARGA PLANCK mit seinem kleinen Auto nach Göttingen. „Wenn ich
angehalten werde“, dachte sich KUIPER, „muß ich meine Entscheidung
damit rechtfertigen, daß es sich um ärztliche Versorgung eines Wichti-
gen Wissenschaftlers handelt.“
PLANCK war der einzige der früheren Präsidenten der Kaiser- Wil-
Helm Gesellschaft der noch lebte. Mit seiner Autorität war es nun sehr
viel leichter, etwas gegen dic rechtswidrige Einsetzung von ROBERT
HAVEMANN zu tun.
Am 15. September richtete PLANCK ein Rundschreiben an alle Direk-
toren der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft: „Durch den Berliner Rund-
funk und ebenso durch einige Zeitungen in der russischen Zonewurde
vor einiger Zeit die Mitteilung verbreitet. daß ein Herr Dr. HAVE-
MANN, früher Assistent bei Professor HEUBNER, das Amt des Präsiden-
ten der Kaiser- Wilhelm-Gesellschaft übernommen hat beziehungs-
weise die Verwaltung der Dahlemer Institute. Dr. HAVEMANN selbst
hat in einem Schreiben an einzelne Institute seine Ernennung durch
den Oberbürgenneister der Stadt Berlin und den Magistrat, Abteilung
Volksbildung, mitgeteilt. Die in Dahlem noch anwesenden Wissen-
schaftler der Kaiser- Wilhelm-Gesellschaft (Assistenten und Abtei-
lungsleiter) haben gegen seine Ernennung protestiert. Auch wenn die
Ernennung von Herrn Dr. HAVEMANN mit Billigung der russischen Be-
satzungsbehörde erfolgt sein sollte, beschränkt sie sich auf den russi-
schen Besatzungsbereich. Ich habe in einem Schreiben an die Militär-
regierung darauf hingewiesen, daß die Ernennung des Herrn Dr. HA-
VEMANN nicht den Satzungen entspricht und von der Kaiser- Wil-
helm-Gesellschaft nicht anerkannt wird.“
112
Max Planck und Otto Hahn (rechts).
112
Es war entscheidend für das Schicksal der Gesellschaft, so schnell wie
möglich wieder einen allgemein anerkannten Präsidenten zu haben.
Wer konnte dieses Amt übernehmen? Schon in normalen Zeiten wa-
ren die Anforderungen groß; ganz hervorragende Persönlichkeiten
hatten bisher an der Spitze gestanden: HARNACK, PLANCK, BOSCH und
VÖGLER.
Jetzt waren die Bedingungen weitaus schärfer: Wie immer kam nur ein
erstrangiger Gelehrter für diese Aufgabe in Frage, doch nun sollte die-
ser zusätzlich bereit sein, auf eigene Forschung zu verzichten. ln dieser
Notlage erforderte das Amt den ganzen Menschen. Unbedingt mußte
der Präsident politisch unbelastet sein und sollte doch der Gesellschaft
möglichst lange angehört haben. Auch dies waren zwei Forderungen,
die nur schwer zu vereinbaren waren, Im Dritten Reich war den höhe-
ren Beamten (wozu die Universitätsprofessoren ebenso gehörten wie
die wissenschaftlichen Mitglieder der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft)
dringend „nahegelegt“ worden, der Partei beizutreten. Nur ganz we-
nigen war es möglich gewesen, dieser Aufforderung konsequent aus-
zuweichen.
So nannte ERNST TELSCHOW in den Gesprächen mit MAX PLANCK nur
drei Namen. Ohne Zögern sagte PLANCK: „Nehmen Sie OTTO HAHN."
Wilde Gerüchte waren über HAHNs Aufenthaltsort in Umlauf. Zum
letzten Mal hatten ihn Mitarbeiter der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft
am 27. April in Hechingen gesehen, von dort aus war er mit MAX VON
LAUE und anderen Physikern in einem Konvoi von Militärfahrzeugen
weggebracht worden.
112
Britische Offiziere versprachen, einen Brief PLANCKS weiterzuleiten.
Am 25. Juli l945 schrieb er an OTTO HAHN: „Als früherer Präsident
der Kaiser- Wilhelm-Gesellschaft liegt mir ihr weiteres Geschick und
ihre Zukunft besonders am Herzen, Ich halte es für unerwünscht, daß
der Posten des Präsidenten längere Zeit unbesetzt bleibt, und habe
Herrn Dr. TELSCHOW gebeten, die Wahl des neuen Präsidenten durch
Umfrage bei den Direktoren aller Kaiser-Wilhelm-Institute vorzube-
reiten. Für diesen Posten werden Sie, wie ich annehme, einstimmig
vorgeschlagen werden, und ich halte Sie in besonderem Maße für ge-
eignet, die Gesellschaft auch dem Ausland gegenüber zu vertreten. Sie
erlassen es mir, die Gründe, die gerade für Ihre Person sprechen, im
einzelnen auszuführen. Bis zu Ihrer Rückkehr nach Deutschland bin
ich bereit, Sie zu vertreten.“
Am 12. Januar 1946 kam HAHN zum ersten Mal nach Göttingen. Mit
HEISENBERG und TELSCHOW hatte er ein langes Gespräch in der Ge-
schäftsstelle der Kaiser- Wilhelm-Gesellschaft, Herzberger Landstraße
Am nächsten Tag besuchte er MAX PLANCK. „Mit HEISENBERG treffe
ich mich bei Familie PLANCK, der wir unsere Rationen Brot, Corned
Beef, etwas Butter, ich außerdem aus England mitgenommenen Tee
mitbringen. Die Nichte PLANCKS, HILLA SEIDEL, sieht gut aus, auch
PLANCK ist frischer, als ich gefürchtet hatte. Er sagt, ich müsse die Prä-
sidentschaft der Kaiser- Wilhelm-Gesellschafı unbedingt übernehmen.
Wir trinken schnell ein Glas Wein, den er vom Oberbürgermeister von
Frankfurt bei dem Goethe-Preis bekommen hat“, schrieb HAHN in
sein Tagebuch.
Zusammen mit MAX VON LAUE siedelte er sich in Göttingen an. Nach-
dem als erste deutsche Universität die Georgia Augusta im September
1945 in allen Fakultäten die Arbeit wieder aufgenommen hatte, wie
von der britischen Militärregierung auch die Wiedererrichtung von
wissenschaftlichen Instituten genehmigt.
Am l. April 1946 übernahm OTTO HAHN offiziell die Präsidentschaft
der Kaiser- Wilhelm-Gesellschaft, „Ich gehe um l/2 12 zu PLANCK“,
notierte HAHN, „um ihm zu melden, daß ich ihn ab heute ablöse, Er
liegt im Bett; sieht sehr elend aus. Aber er ist offenbar erfreut, daß das
,Provisorium’ vorüber ist.“
Etwa zur gleichen Zeit schlug der amerikanische Militärgouverneur in
der Viererkontrollkommission die Auflösung der Kaiser-Wilhelm-
Gesellschaft vor. Sowjets und Franzosen stimmten zu, während der
britische Vertreter opponierte. Damals war es in der Kontrollkommis-
sion noch üblich, daß sich bei Übereinstimmung von drei Mächten die
vierte nicht entgegenstellte. So wurde nach einiger Zeit auch die briti-
sche Zustimmung erteilt,
Glücklicherweise mahlten die Mühlen des alliierten Kontrollrates
langsam, So hatte man Zeit,über Gegenmaßnahmen zu beraten.
HAHN, LAUE, PLANCK, HEISENBERG und überhaupt alle ehemaligen
Mitglieder wollten die Gesellschaft unter allen Umständen er-
halten,
Im Juli 1946 feierte die Royal Society ¬ durch den Krieg um einige
Jahre verspätet - den 300. Geburtstag von ISAAC NEWTON. Aus der
ganzen Welt kamen Gelehrte nach London, Als einzigen Deutschen
hatte die Gesellschaft MAX PLANCK eingeladen, ihr ältestes auswärti-
ges Mitglied.
113
Mit diesen Briefen gaben Max Planck und Otto Hahn bekannt, daß mit dem 1. April 1946 Otto Hahn als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft amtierte. Otto Hahn wurde dann auch der erste Präsident der Nachfolgeorganisation, der Max-Planck-Gesellschaft.
114
Gründungssitzung der Max-Planck-Gesellschaft am 26. Februar 1948 in Göttingen.
Von links: Erich Regener, Adolf Grimme, Otto Hahn und Max von Laue.
114
PLANCK war erst Mitte Mai nach sechswöchiger Behandlung aus dem
Krankenhaus entlassen worden. Nur mühsam konnte er sich wegen
seiner Arthrose am Stock bewegen. Aber die Reise nach London ließ
er sich nicht ausreden.
Wieder einmal bewährte sich Colonel BERTIE K. BLOUNT als echter
Freund. BLOUNT hatte noch vor dem Einbruch des Nationalsozialis-
mus in Deutschland Chemie studiert und hier sein Doktorexamen ge-
macht. Jetzt war er in der „Research Branch“ der britischen Militärre-
gierung zuständig für den Wiederaufbau der deutschen Wissenschaft.
Oberst BLOUNT stellte sich selbst als Reisebegleiter zur Verfügung. ln
einer Militärmaschine flogen MAX und MARGA PLANCK nach London.
BLOUNT trug mehrere Briefe bei sich, von HEISENBERG an BOHR, von
HAHN an HENRY DALE und andere.
Auch in den Gesprächen am Rande der Feierlichkeiten ging es um das
Schicksal der Kaiser- Wilhelm-Gesellschaft. Durch einen glücklichen
Umstand war auch MAX VON LAUE in London; er beschrieb diese Tage
in seiner Autobiographie:
114
„Was ich im Juli 1946 in London erlebte, gereichte der Royal Society
und allen ihr nahestehenden Gelehnenkreisen zum Ruhm. Da fand
zunächst eine internationale Kristallographentagung statt . . . Ich . . .
konnte ausnahmslos die Beobachtung machen, daß man als Deutscher
(denn den wollte und konnte ich wahrlich nicht verheimlichen) keiner-
lei Kränkung durch die Bevölkerung zu befürchten habe. Häufig
mußte ich mich nach Straßen oder Verkehrsmitteln erkundigen; die
Antworten waren stets freundlich...Zeitlich folgte dem Kongreß
unmittelbar die NEWTON-Feier der Royal Society ...Mich nahm ein
unverheiratetes Mitglied der Royal Society, das infolge eines Verse-
hens auch für seine nicht-existierende Frau eine Einladung bekommen
hatte, auf diese Karte hin mit zu dem ... Geselligkeitsabend in den
Festräumen der Royal Society. “
MAX VON LAUE konnte natürlich eine viel aktivere Rolle spielen als der
87jährige PLANCK. Durch seine bekannt mutige Haltung gegenüber
dem nationalsozialistischen Regime besaß LAUE viele Sympathien.
LAUE und PLANCK betrachteten die Kaiser- Wilhelm-Gesellschaft als
115
eine Forschungsorganisation, die Großes in der Wissenschaft geleistet
hatte und auch in den Zeiten der Tyrannei ihren Idealen treu geblie-
ben war. Doch war für die Ausländer und die Emigranten der Name
KAISER WILHELM unerträglich. Die Bezeichnung zeigte nach ihrer
Meinung die verhängnisvolle Verflechtung von Wissenschaft und ııa-
tionaler Machtpolitik - und sie waren entschlossen, diese Tradition
endgültig abzuschneiden.
In den Gesprächen mit LISE MEITNER zeigte PLANCK mehr Verständnis
für die Gründe, die eine Änderung des Namens KAISER WILHELM er-
forderlich machten; aber schließlich sah auch LAUE die Notwendigkeit
ein.
PLANCK war alt geworden. Mit Rührung beobachtete LISE MEITNER
den verehrten Lehrer, der unter den vielen Menschen oft völlig hilflos
wirkte. Das Englische war ihm fremd geblieben.
Zwischen LISE MEITNER und MAX PLANCK hatte sich in den zwanziger
und dreißiger Jahren eine starke innere Bindung entwickelt. Mehrfach
hatte er zu LISE MEITNER gesagt, sie verstanden sich deshalb so gut,
weil sie in menschlichen Dingen ganz ähnlich reagierten. Oft hatten ihr
deshalb LAUE, HAHN und andere den Vorwurf gemacht, daß sie zu Un-
recht PLANCK soviel höher schätze als EINSTEIN.
Wenn sich eine Gelegenheit ergab, setzte sich LISE MEITNER mit
PLANCK zusammen, und in diesen Stunden war er ganz der Alte. Alles
konnte sie mit ihnı besprechen. LISE MEITNER war glücklich: „Seine
menschlichen und persönlichen Qualitäten waren so wunderbar wie
früher.“
LAUE aber schien seine Tatkraft verloren zu haben. Während des Drit-
ten Reiches war er der Mutigste von allen gewesen. Erst vor drei Jah-
ren hatte ihn Lisa MEITNER in Stockholm getroffen und ihn damals ge-
warnt: Sicher werde er überwacht, und die Nazis könnten aus dem
häufigen Zusammensein mit ihr ein Dienstvergehen konstruieren.
„Ein Grund mehr, es doch zu tun“, war damals seine Antwort gewe-
sen.
Jetzt aber schien ihm das dröhnende Lachen vergangen, das seine
Freunde an ihm so schätzten. Vieles bedrückte ihn: Die Hungersnot in
Deutschland, der Schwarze Markt, wodurch Wiederum, wie in der
Nazi-Zeit, die Skrupellosen besser gestellt Waren, das Schicksal der
Vertriebenen, die Spaltung Deutschlands, die Unterdrückung der
Meinungsfreiheit in der sowjetisch besetzten Zone.
In London waren Gelehrte aus fast allen Ländern versammelt. Und sie
kamen zu MAX VON LAUE, um ihm, manchmal wortlos, die Hand zu
schütteln. „Es war nicht leicht, eine Gemütsbewegung zu unterdrük-
ken.“
Nach dem Newton-Kongreß blieb Oberst BLOUNT noch einige Tage in
London. An einem Abend im Hause von Sir HENRY DALE: zogen beide
Männer das Resümee aus Argumenten und Gegenargumenten: „Es
ist nur der Name, gegen den sie etwas haben“, sagte DALE, „allein die
Worte KAISER WILHELM beschwören ein Bild von rasselnden Säbeln
und maritimer Expansion. Nennen Sie es die Max-Planck-Gesellschaft
und jedermann wird zufrieden sein.“
Bei seiner Rückkehr nach Göttingen überbrachte BLOUNT Briefe von
DALE und HILL an OTTO HAHN. „Freundliche Antworten“, notierte
HAHN in sein Tagebuch, „aber keine Hoffnung auf Beibehaltung des
Namens, Das Gleiche meinen LISE MEITNER, BOHR, BJERKNES bei Ge-
sprächen mit LAUE und PLANCK. Wir beschließen, in der britischen
Zone einen Nachfolger zu gründen.“
AM 11. September 1946 entstand in Bad Driburg die „Max-Planck
Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in der britischen
Zone“. Der Versuch, die Institute in der amerikanischen Zone eben-
falls Wieder unter das gemeinsame Dach zu bringen, scheiterte zu-
nächst. Erst ein Besuch von OTTO HAHN bei General CLAY, dem Ober-
kommandierenden der US-Streitkräfte in Frankfurt, am 4. August
1947 brachte den Umschwung.
„Während ich im Vorzimmer beim Adjutantcn des Generals blieb“,
berichtete TELSCHOW, „führte Professor HAHN im Nebenzimmer die
Unterhaltung. Sie War außerordentlich lebhaft, und man hörte die bei-
den Herren sehr erregt sprechen. Professor HAHN bekam, wie er zu sa-
gen pflegte, seinen ‘Blutrausch`. . .und machte dem General CLAY
klar, daß die Kaiser-Wilhelm-Gesellschat niemals eine nazistische
Organisation gewesen wäre. Es gelang ihm.. .damit die Anerken-
nung der Gesellschaft fiir die amerikanische Zone zu erreichen.“
Am 26. und 27. Februar 1948 kam es in Göttingen zur Gründung der
Max-Planck-Gesellschaft ohne den einschränkenden Zusatz „in der
britischen Zone.“
115
Max von Laue (links) zu Besuch bei Max Planck in Göttingen (1946).
116
Einstein im Hörsaal des “Institute for Advanced Sudy” in Princeton, New Jersey, USA.
ENDE XIII
KAPITEL XIV
Einstein und die Deutschen
Bewältigung der Vergangenheit
117
Es war ein wichtiger Teil der Aufbauarbeit. Wieder freundschaftliche
Beziehungen zu den Kollegen in aller Welt zu knüpfen. OTTO HAHN er-
innerte sich deutlich an die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. Nur
ganz allmählich war es damals gelungen, ein wenig Vertrauen im Aus-
land wiederzugewinnen. Und nun mußte abermals ganz von vorne be-
gonnen werden.
Die Hypothek war um ein vielfaches höher. Für die Verbrechen der
Nationalsozialisten gab es kein Beispiel in der Geschichte. In einem
Punkte allerdings schienen die Voraussetzungen günstiger: Während
sich 1914 in dem berühmt-berüchtigten „Manifest der 93 deutschen
Intellektuellen“ die Gelehrten mit der Regierung solidarisch erklärt
hatten, war es 1939 zu solchen Kundgebungen nicht gekommen. In ih-
rer Weit überwiegenden Mehrzahl hatten die deutschen Wissenschaft-
ler (wie das ganze Volk) den Angriffskrieg und die Judenverfolgungen
mißbilligt; dieser Gesinnung Ausdruck zu geben. war freilich fast nur
in kleinstem Kreise möglich. Immerhin hatte etwa MAX PLANCK bei
der großen Feier seines 80. Geburtstages am 23. April 1938 unüber-
hörbar von der Friedenssehnsucht des deutschen Volkes gesprochen
und von der notwendigen Verständigung mit Frankreich.
Jetzt kam es vor allem darauf an, die emigrierten Kollegen zu gewin-
nen. Kulturell gesehen waren sie zum größten Teil Deutsche geblie-
ben. Die meisten von ihnen bevorzugten nach wie vor die deutsche
Sprache, wie zum Beispiel ALBERT EINSTEIN und LISE MEITNER.
Die Emigrantcn bildeten den Schlüssel zur Verständigung mit dem
Ausland. Wenn es gelang, sie zu überzeugen, daß in Deutschland ein
neuer Geist eingezogen war, würden sich auch die anderen ausländi-
schen Kollegen gewinnen lassen. Am 18. Dezember 1948 schrieb
OTTO HAHN als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft an ALBERT
EINSTEIN:
„Von MAX VON LAUE, RUDOLF LADENBURG und anderen Kollegen
werden Sie vielleicht gehört haben, daß wir hier in Göttingen im Fe-
bruar l948 die Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissen-
schaften, vorerst in der Britischen und Amerikanischen Zone, gegrün-
det haben. Die Max-Planck-Gesellschaft soll an die Tradition der Kai-
ser- Wilhelm-Gesellschaft vor 1933 anknüpfen. Auch die Statuten der
Gesellschaft sind mit Genehmigung der Amerikanischen und Briti-
schen Militärregierungen ungefähr so abgefaßt, wie die Statuten der
Kaiser- Wilhelm-Gesellschaft vor der Nazizeit gewesen sind.
Auf meine Bitte sind JAMES FRANCK, OTTO MEYERHOF, RUDOLF LA-
DENBURG, RICHARD GOLDSCHMIDT und andere als frühere Wissen-
schaftliche Mitglieder der Kaiser- Wilhelm-Gesellschaft nunmehr als
Auswärtige Wissenschaftliche Mitglieder der neuen Max-Planck-Ge-
Schaft beigetreten.
Ich möchte Sie fragen, ob auch Sie sich zu demselben Schritt entschlies-
sen können. Dem Senat unserer Gesellschaft und mir selbst wäre dies
natürlich eine große Freude und zugleich auch Ehre.
Was diesen Senat anbelangt, so kann ich Ihnen einige Namen von Se-
natsmitgliedern nennen, zum Beispiel den früheren Preußischen Kul-
tusminister DR. GRIMME. den früheren Zentrumsabgeordneteten Prä-
lat SCHREIBER, DR. PETERSEN, den Bruder des bisherigen Oberbürger-
meisters aus Hamburg, - alle drei mußten nach 1933 ihre Stellen auf-
geben - ; ferner Professor WINDAUS, Professor REGENER, Professor
WIELAND und andere. Aus diesen Namen werden Sie sehen, daß ir-
gendein Aufleben nationalsozialistischer Tendenzen in unserer neuen
Gesellschaft ausgeschlossen ist.
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir aufrichtig Ihre Entschei-
dung mitteilen wollten, und ich benutze die Gelegenheit, Ihnen für
Weihnachten und zum Neuen Jahre von Herzen alles Gute zu wün-
schen.“
Geheimnisvoll und schwer zu fassen sind die Gesetze der Natur; noch
viel unergründlicher aber ist der Mensch, auch wenn man ihn seit Jahr-
zehnten zu kennen glaubt. Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft
ahnte nicht, daß ALBERT EINSTEIN, der heitere und humorvolle Freund
von früher, zwischen sich und Deutschland einen endgültigen Tren-
nungsstrich gezogen hatte: „Nachdem die Deutschen meine jüdischen
Brüder in Europa hingemordet haben, will ich nichts mehr mit Deut-
schen zu tun haben."
Die Antwort EINSTEINS an OTTO HAHN ist ein Dokument. Für die
Deutschen ein sehr betrübliches. Am Anfang des Jahrhunderts waren
die Gelehrten des Landes überzeugt gewesen, daß gerade ihr Volk im
besonderen Maße als Träger der Kultur ausersehen sei. Gewiß gingen
die wissenschaftlichen Leistungen der Deutschen in die Geschichte
ein. Insofern hatten die Erwartungen nicht getrogen. Alle Kulturlei-
stungen konnten jedoeh die von den Nationalsozialisten im Namen
Deutschlands begangenen Verbrechen nicht aufwiegen.
118
Helene Dukas, Albert Einstein und Margot Einstein (von links) beim Schwur
Auf die amerikanische Verfassung. Einstein legte 1933 die deutsche Staatsange-
hörigkeit nieder und erhielt 1 940 die amerikanische. Das Schweizer Bürgerrecht,
das er bereits irn Jahre 1901 erworben hatte, behielt er jedoch neben der deut-
schen beziehungsweise amerikanischen Staatsangehörigkeit bis zum Lebensende
bei.
118
„Ich empfinde es schmerzlich“, schrieb EINSTEIN, „daß ich gerade Ih-
nen, das heißt einem der wenigen, die aufrecht geblieben sind und ihr
Bestes taten während dieser bösen Jahre, eine Absage senden muß.
Aber es geht nicht anders. Die Verbrechen der Deutschen sind wirk-
lich das Abscheulichste, was die Geschichte der sogenannten zivilisier-
ten Nationen aufzuweisen hat. Die Haltung der deutschen Intellektu-
ellen - als Klasse betrachtet- war nicht besser als die des Pöbels. Nicht
einmal Reue und ein ehrlicher Wille zeigt sich, das Wenige Wiedergut-
zumachen, was nach dem riesenhaften Morden noch gutzumachen
wäre. Unter diesen Umständen fühle ich eine unwiderstehliche Aver-
sion dagegen, an irgendeiner Sache beteiligt zu sein, die ein Stück des
deutschen öffentlichen Lebens verkörpert, einfach aus Reinlichkeits-
bedürfnis. Sie werden es schon verstehen und wissen, daß dies nichts
zu tun hat mit den Beziehungen zwischen uns beiden, die für mich stets
erfreulich gewesen sind. Ich sende Ihnen meine herzlichsten Grüße
und Wünsche für fruchtbare und frohe Arbeit.“
Es kam EINSTEIN darauf an, klar und unmißverständlich seine Absage
zu formulieren. Trotzdem ist der Brief nicht ohne Wärme; EINSTEIN
war ein ehrlicher Mensch, der die herzliche Freundschaft von einst
nicht vergessen hatte.
In der Sache war die Antwort niederschmetternd. An eine Entwick-
lung zum besseren Deutschland glaubte EINSTEIN nicht: „Aus den
Kerlen dort ehrliche Demokraten zu machen“, hielt er für unmöglich.
Deutlich kommt das in Briefen vor allem an JAMES FRANCK zum Aus-
druck, auch er ein Physiker und Emigrant. EINSTEINs Auffassungen
lassen sich vielleicht in drei Punkten zusammenfassen:
118
- Die deutschen Gelehrten hatten mit Schuld am Aufkommen des
Nationalsozialismus in den zwanziger Jahren und mit Schuld, daß
das Regime schon in den ersten Monaten seine Macht festigen
konnte.
- Von Schuldgefühl und Reue über die Verbrechen der Nationalso-
zialisten ist bei den Deutschen keine Spur.
- Der Chauvinismus in Deutschland ist nicht auszurotten. Er wird
immer eine Gefahr für die Welt bilden. Deshalb muß man dieses
Land für dauernd entmachten und vor allem den Aufbau einer star-
ken Industrie verhindern.
Es kann hier nicht darauf ankommen, in jedem Fall nachzuweisen, in-
wieweit EINSTEIN recht hatte und inwieweit er irrte; eine eindeutig be-
stimmbare historische „Wahrheit“ gibt es bei diesen Fragen ohnehin
nicht. Wichtiger ist es vielmehr, EINSTEIN besser zu verstehen. Woher
nahm er sein Urteil? Stand er damit allein oder war es typisch für seine
Alters- und Schicksalsgenossen?
Wie uns ALBERT EINSTEIN in seiner 1946 geschriebenen Autobiogra-
phie berichtet, hat er als Kind tief religiös empfunden; die Lektüre po-
pulärwissenschaftlicher Bücher brachte ihn zur Überzeugung, daß vie-
les in den Erzählungen der Bibel nicht wahr sein konnte: „Die Folge
war eine geradezu fanatische Freigeisterei, verbunden mit dem Ein-
druck, daß die Jugend vom Staate mit Vorbehalt belogen wird; es war
ein niederschmetternder Eindruck.“
Aus solchen Erlebnissen wuchs sein Mißtrauen gegen jede Art von
Autorität. Zeitlebens hat sich EINSTEIN über alles seine eigenen Ge-
danken gemacht: über die Gesetze der Natur und die Gesetze, die sich
die Menschen geben, um ihr Zusammenleben zu gestalten.
Nach der traditionellen Ansicht des deutschen Gelehrten hatte Wis-
senschaft mit Politik nichts zu tun; der Wissenschaftler verstand etwas
von seinem Fach, also sollte er sich um sein Fach kümmern, die Politik
aber anderen überlassen. Die Wissenschaft, und zumal die Physik,
diese „eifersüchtige Geliebte“, nahm die Kräfte des Gelehrten tat-
sächlich so sehr in Anspruch, daß dieser mit Recht das Gefühl haben
konnte, für anderes sei keine Zeit. 1933 hatte LAUE an EINSTEIN ge-
schrieben: „Aber warum mußtest Du auch politisch hervortreten! Ich
bin weit entfernt, Dir aus Deinen Anschauungen einen Vorwurf zu
machen! Nur finde ich, soll der Gelehrte damit zurückhalten. Der poli-
tische Kampf fordert andere Methoden und andere Naturen als die
wissenschaftliche Forschung. Der Gelehrte kommt in ihm in der Regel
unter die Räder. So ist’s nun auch mit Dir gegangen. Aus den Trüm-
mern läßt sich, was war, nicht wieder zusammensetzen.“
Die Antwort EINSTEINs zeigt, daß dieser, wie in der Wissenschaft, auch
im politischen Verständnis den Kollegen weit voraus war: „Wie Du
fühlst, kann ich mir denken. Denn diese Dinge gehen weit über das
Persönliche hinaus in ihrer Bedeutung. Es ist wie eine Völkerwande-
rung von unten, ein Zertrampeln des Feineren durch das Rohe. Deine
Ansicht, daß der wissenschaftliche Mensch in den politischen, das
heißt menschlichen Angelegenheiten im weiteren Sinne, schweigen
soll, teile ich nicht. Du siehst ja gerade aus den Verhältnissen in
Deutschland, wohin solche Selbstbeschränkung führt. Es bedeutet, die
Führung den Blinden und Verantwortungslosen widerstandslos über-
lassen. Steckt nicht Mangel an Verantwortungsgefühl dahinter?
119
Brief von Albert Einstein an Otto Hahn vom 28 Januar 1949.
120
Lise Meitner, Bundespräsident Theodor Heuss und Otto Hahn (van links) wäh-
rend einer Ansprache zur Verleiung der Max-Planck-Medaille an Hahn
und Lise Meitner am 23. September 1949.
120
Wo stünden wir, wenn Leute wie GIORDANO BRUNO, SPINOZA, VOLTAI-
RE, HUMBOLDT so gedacht und gehandelt hätten? Ich bedauere kein
Wort, was ich gesagt habe, und glaube dadurch den Menschen gedient
zu haben. Glaubst Du, daß ich es bedauere, unter solchen Umständen
nicht in Eurem Lande bleiben zu können? Dies wäre mir unerträglich
gewesen, selbst wenn man mich in Watte gepackt hätte. Mein Gefühl
warmer Freundschaft für Dich und einige wenige andere dort bleibt
bestehen.“
Damals, im Mai 1933, mochte LAUE dem nun so weit entfernten
Freund noch nicht zustimmen, daß es jetzt Aufgabe des Gelehrten sei,
aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft herauszutreten und einzu-
greifen in das politische Getriebe, doch diese Meinung sollte er nicht
mehr lange beibehalten.
Nach EINSTEINS Auffassung hatten es die deutschen Gelehrten durch
ihre politische Abstinenz den Nationalsozialisten zu leicht gemacht.
Was die Jahre bis 1933 betrifft, wird man ihm recht geben müssen.
Auch die überzeugten Demokraten im Lande (etwa die Schriftsteller
CARL ZUCKMAYER, ERICH KäSTNER und LEONHARD FRANK) machten
sich Vorwürfe, daß sie den Nationalsozialisten nicht entschlossen ge-
nug entgegengetreten waren. „Wir haben versäumt“, sagte ZUCKMAY-
ER, „als unsere Zeit und unsere Stunde war, ihnen zuvorzukommen.“
Entscheidend war aber doch wohl, daß es breite Kreise des Bürger-
tums und der Professorenschaft an Engagement für den demokrati-
schen Staat fehlen ließen, daß viele im Herzen immer noch der Monar-
chie anhingen. „Erinnerst Du Dich daran“, schrieb EINSTEIN 1944 an
MAX BORN, „daß wir [1918] zusammen in einer Tram nach dem
Reichstagsgebäude fuhren, überzeugt, aus den Kerlen dort ehrliche
Demokraten zu machen? Wie naiv wir gewesen sind als Männer von
40 Jahren. Ich kann nur lachen, wenn ich daran denke. Wir empfanden
beide nicht, wieviel mehr im Rückenmark sitzt als im Großhirn, und
wieviel fester es sitzt.“
Nach der Machtergreifung 1933 noch den Nationalsozialisten entge-
genzutreten, war sehr viel schwieriger. Wohl kein deutscher Physiker
hat sich dabei so weit vorgewagt wie MAX VON LAUE.
Zweifellos hatte EINSTEIN nicht erkannt, daß auch viele andere im
Rahmen des Möglichen opponiert haben. Es gehört zum Wesen einer
Diktatur, unangenehme Nachrichten zu unterdrücken. Hatte damals
eine Amtsniederlegung, die stärkste Form des Protestes, die einem
Professor gegen seinen Staat möglich ist, irgend eine Wirkung gehabt?
An der Universität Leipzig haben HEISENBERG, VAN DER WAERDEN und
HUND diesen Schritt erwogen. Selbst vom heutigen Standpunkt - von
dem aus man den verbrecherischen Charakter des Regimes und alle
seine Untaten kennt - ist es nicht ganz leicht zu beurteilen, ob es da-
mals richtiger gewesen wäre, die Professuren aufzugeben. Vielleicht
121
hätte damals entschlossener Widerstand eine Signalwirkung gehabt
und den Triumph der Nazis über ihre billigen Siege unterbrechen kön-
nen. Dieser Auffassung widersprach PETER PAUL EWALD, der Kollege
und Freund LAUES aus der Münchner Zeit, der später selbst die Emi-
gration wählte:
„Die gemeinsame Amtsniederlegung von HUND, VAN DER WAERDEN
und HEISENBERG hätte gar nichts genützt, denn die Nazis hätten die
Nachricht völlig unterdrückt. Es war die gleiche Situation, in die die
Rektoren bei der Konferenz in Wiesbaden (10. April 1933) über einen
gemeinsamen Protest der deutschen Rektoren gegen das, Gesetz zur
Wiederherstellung des Berufsbeamtentums' gebracht wurden. Erstens
hätte dies eine Gegenkundgebung der nationalsozialistischen Rekto-
ren (zum Beispiel Göttingen) hervorgerufen, und zweitens wären die
121
Werner Heisenberg (rechts) und Max von Laue 1958.
121
zurückgetretenen Rektoren sofort durch stramme Parteigenossen er-
setzt worden. Vermutlich haben viele Rektoren nach der Rückkehr ihr
Amt niedergelegt (ich zum Beispiel), aber davon kam nichts in die
Presse.“
MAX PLANCK, WERNER HEISENBERG und viele andere hatten damals
den Eindruck. daß es sich bei der Machtergreifung gleichsam um eine
Naturkatastrophe handle, gleich einer großen Lawine, die sich unauf-
haltsam herabwälze nach eigenem Gesetz, bis sie schließlich zum Still-
stand komme.
EINSTEINS Urteil über diese Analogie ist nicht bekannt. Nach dem
Ende des Zweiten Weltkrieges hat er wahrscheinlich - im Rückblick
auf die Ereignisse - auch so gedacht. Er neigte dazu, an die clumpfe
Triebhaftigkeit des menschlichen Verhaltens zu glauben, was bedeu-
tet, daß der Ablauf politischer Ereignisse zwangsläufig erfolgen muß,
gleichsam nach innerem Gesetz.
ln der Zeit vor der Machtergreifung und in den ersten Jahren danach
hat EINSTEIN die Analogie sicherlich als verfehlt angesehen: Wenn
man sich das Bild der herabwälzenden Lawine zu eigen macht, hat das
ja die Konsequenz, daß man den Dingen ihren Lauf läßt, weil man sie
ohnehin nicht ändern kann. EINSTEIN hat jedoch damals versucht,
eine bedeutende Macht gegen den Nationalsozialismus zu mobilisie-
ren: die Öffentliche Meinung in den demokratischen Staaten. EIN-
srıams Ziel war, die Menschen vor der ungeheuren Gefahr zu warnen
und die Regierungen zu entschlossenem Handeln zu bewegen.
Wäre das besser gelungen, wenn sich namhafte Wissenschaftler aus
Deutschland um EINSTEIN geschart hätten? Die Frage ist nicht zu be-
antworten, Die Vorstellung, andere deutsche Gelehrte hätten EIN-
STEIN unterstützen können, setzt eine politische Reife voraus, wie sie
damals eben nur EINSTEIN besaß.
Es ist kein leichter Entschluß, in ein fremdes Land zu gehen. Nur we-
nige Gelehrte haben dieses Schicksal freiwillig auf sich genommen.
Aber auch die Emigranten sind politisch kaum hervorgetreten. In der
Wissenschaft hofften sie, ihren persönlichen Frieden wiederzufinden.
Die im Lande gebliebenen Gelehrten verhielten sich im Grunde ähn-
lich. Der Politik hielten sie sich so fern wie möglich. Allerdings wurden
sie immer wieder zu Kompromissen gezwungen. Ob sie wollten oder
nicht: Sie waren ein Teil im großen Mechanismus und verstrickten sich
in die Geschehnisse.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte EINSTEIN die Entwicklung
Deutschlands zu einem demokratischen Rechtsstaat für unmöglich
gehalten. Wie ist das zu verstehen? Wohl aus den großen Hoffnungen,
die er sich nach dem Ende des Kaiserreiches gemacht hat, und die so
bitter enttäuscht worden waren.
Auf einer Postkarte, die er am 11. November 1918, am Tag des Waf-
fenstillstandes, an seine Mutter geschrieben hat, kommt die Freude
über die Revolution zum Ausdruck: „Sorge Dich nicht. Bisher ging al-
les glatt, ja imposant. Die jetzige Leitung scheint ihrer Aufgabe wirk-
lich gewachsen zu sein. Ich bin glücklich über die Entwicklung der Sa-
che. Jetzt wird es mir erst recht wohl hier. Die Pleite hat Wunder ge-
tan.“
122
Symposion zum 70. Geburtstag von Einstein in Princeton. Von links:
H.P. Robertson, Eugene P. Wigner, Hermann Weyl, Kurt Goedel, Isidor Rabi,
Albert Einstein, Rudolf Ladenburg, J. Robert Oppenheimer und G.M. Clemence.
123
Mit jüdischen Kindern. Begründet durch die “Härte des jüdischen Schicksals”
wurde für Einstein das Gefühl der Solidarität mit jüdischen Menschen die stärk-
Ste innere Bindung.
124
Bei seinen Kollegen galt EINSTEIN als „Ober-Sozi“, und als die Stu-
denten den Rektor der Universität für abgesetzt erklärten, holten die
Professoren EINSTEIN zu Hilfe. Mit MAX BORN und MAX WERTHEIMER
fuhr er zum Reichstag („mit einer Tram“, wie er später erwähnte).
Dort tagten die revolutionären Studentenkomitees. EINSTEIN warnte
vor einem sowjetischen Räte-System und plädierte entschieden für
eine Demokratie westlichen Zuschnitts:
„Rückhaltlose Anerkennung gebührt unseren jetzigen sozialdemo-
kratischen Führern, im stolzen Bewußtsein der werbenden Kraft der
von ihnen vertretenen Gedanken haben sie sich bereits für die Einbe-
rufung der gesetzgebenden Versammlung entschlossen. Damit haben
sie gezeigt, daß sie das demokratische Ideal hochhalten. Möge es ihnen
gelingen, uns aus den ernsten Schwierigkeiten herauszuführen, in die
wir durch die Sünden und Halbheiten ihrer Vorgänger hineingeraten
sind.“
EINSTEIN glaubte an die neue Zeit und wollte an ihr mitarbeiten. Aber
sein Optimismus verflog bald. „Ich war einige Tage in Rostock bei Ge-
legenheit der Jubiläumsfeier der Universität, hörte dort bei diesem
Anlaß arge politische Hetzreden und sah recht Ergötzliches in Klein-
staat-Politik. . .Als Festsaal stand nur das Theater zur Verfügung,
wodurch der Feier etwas Komödienhaftes gegeben wurde. Reizend
war da zu sehen, wie in zwei Proszeniumslogen untereinander die
Männer der alten und der neuen Regierung saßen. Natürlich wurde die
neue von den akademischen Größen mit Nadelstichen aller erdenkli-
chen Art traktiert, dem Ex-Großherzog eine nicht endenwollende
Ovation dargebracht. Gegen die angestammte Knechts-Seele hilft
keine Revolution!“
Nach 1933 kreiste der Briefwechsel EINSTEINs mit seinem Kollegen
und Freund MAX BORN immer wieder um die Frage: War das Schicksal
des deutschen Volkes, von der „Haß- und Gewaltseuche“ des Natio-
nalsozialismus ergriffen zu werden, etwas Unvermeidliches, Unaus-
weichliches gewesen? Eine solche Auffassung lag EINSTEIN später
nahe. Auch in der Wissenschaft wollte er auf strenger Kausalität und
124
Determiniertheit beharren, obwohl sich, mit angebahnt durch seine
früheren Auffassungen und insbesondere durch seine Quantenarbeit
von 1917, eine andere Interpretation durchzusetzen begann. EINSTEIN
meinte später, daß das triebhafte Verhalten der Menschen in politi-
schen Dingen geeignet sei, den Glauben an den Determinismus in der
Physik wieder recht lebendig zu machen.
EINSTEIN konnte nicht daran glauben, daß die Entwicklung auch in
eine andere Richtung hätte gehen können und vielleicht recht zufälli-
ge, in ihrer Bedeutung nicht leicht erkennbare Ereignisse die schlech-
teste aller Möglichkeiten herbeigeführt hatten: „Daß alles so schief
gegangen ist, hat doch nur an einem Haar gehangen“, erwiderte ihm
MAX BORN. Im Rückblick erschien EINSTEIN die Machtergreifung das
Ergebnis eines unausweichlich ablaufenden Prozesses.
Entsprechend war er überzeugt, daß auch nach dem Zweiten Welt-
krieg die innenpolitische Entwicklung in Deutschland nicht zu einer
wirklichen Demokratie führen könne. Auch als sich die Anzeichen für
einen Bewußtseinswandel häuften, änderte EINSTEIN seine Meinung
nicht mehr.
Vielleicht ist es erlaubt, EINSTEINs Beurteilung der politischen Kräfte
mit der Bedeutung, die er den physikalischen Kräften zumaß, in Paral-
lele zu setzen, Auf dem Gebiete der Physik hatte EINSTEIN ursprüng-
lich einen geradezu unglaublichen Sinn für die Wirklichkeit besessen.
Als er jedoch in den vierziger und fünfziger Jahren nach einer „ein-
heitlichen Feldtheorie” suchte, hat er sich auf die elektromagnetischen
Kräfte und die Schwerkraft beschränkt; die starken und die radioakti-
ven Kernkräfte hat er nicht mehr in seine Betrachtungen einbezogen,
obwohl diese doch das Bild entscheidend veränderten.
Ebenso in der Politik. Viel früher als andere Beobachter hatte EIN-
STEIN sich ein sicheres Urteil über den Nationalsozialismus gebildet
und über die Gefahren, die der jungen Weimarer Republik drohten.
Als aber nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine ganz andere
Entwicklung einsetzte, hat er den starken demokratischen Kräften in
Deutschland keine Rolle mehr in seinem Urteil zugebilligt.
125
Einsteins Haus in Princeton, New Jersey, Mercerstreet 112. Hier lebte Einstein
bis zu seinem Tode, und hier leben noch heute seine Stieftochter Margot und
seine Sekretärin Helen Dukas.
126
Otto Hahn und Lise Meitner
ENDE XIV
KAPITEL XV
Die politischen Probleme der Kernenergie
Hoffnung und Bedrohung für die Menschheit
127
Im April 1951 zog MAX VON LAUE nach Berlin und übernahm dort das
Direktorenamt im Institut für Pysikalische Chemie und Elektroche-
mie. Er wurde damit der indirekte Nachfolger von FRITZ HABER. der als
deutscher Patriot in Krieg und Frieden für sein Vaterland gewirkt hat-
te, bis er, als Jude, von den Nationalsozialisten vertrieben wurde. Als
LAUE sein neues Amt antrat, gehörte aber das Institut nicht mehr zur
Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, sondern zur Forschungshochschule
Dahlem. Die Wiedereingliederung in die Max-Planck-Gesellschaft,
die Nachfolgeorganisation der Kaiser- Wilhelm-Gesellschaft, folgte
erst zwei Jahre später.
OTTO HAHN blieb in Göttingen als Präsident der Max-Planck-Gesell-
schaft. LISE MEITNER wurde 1947 in den Ruhestand versetzt; statt wie
vordem am Nobel-Institut arbeitete sie nun in einem kleinen Labora-
torium, das die schwedische Atomenergiebehörde für sie an der Tech-
nischen Hochschule in Stockholm eingerichtet hatte, und später an der
Schwedischen Akademie für Ingenieurwissenschaften, wo ein Ver-
suchsreaktor stand.
ALBERT EINSTEIN verließ kaum noch die kleine Universitätsstadt Prin-
ceton. Hier hatten sich die Menschen an ihn gewöhnt, und es gab kei-
nen Volksauflauf, wenn er von seinem Haus in der Mercer Street zum
Institute for Advanced Study ging, wo er nach wie vor seine „Denkzel-
le“ hatte, sein Arbeitszimmer. MAX von LAUE war der einzige der vier
Kollegen, dessen Lebensweg zurück nach Berlin führte.
Stärker als in jeder anderen deutschen Stadt zeigten sich in Berlin die
Schäden, die der Krieg angerichtet hatte. Zusammen mit ganzen
Wohnvierteln waren die einst geheiligten Tempel der Wissenschaft,
die Preußische Akademie, die Technische Hochschule (Charlottenburg,
die Physikalisch-Technische Reichsanstalt, die Forschungsinstitute in
Dahleın zu Ruinen geworden. Vor den zertrümmerten Mauern der
Friedrich-Wilhelm-Universität weideten Kühe und Schafe.
Kaum hatten die notdürftigsten Instandsetzungsarbeiten begonnen,
drohten neue Gefahren: Gestützt auf die sowjetische Besatzungs-
macht versuchten Kommunisten eine „Demokratie“ in ihrem Sinne in
ganz Berlin zu etablieren. „Ich fühle mich“, sagte MAX von LAUE,
„gleich den meisten anderen Westberlinern als auf Vorposten stehend
gegen den Vormarsch dieser Ungeistigkeit.“
Eine Generation zuvor, im Jahre 1918, hatte schon einmal die gleiche
Gefahr bestanden. Damals hatte EINSTEIN im Deutschen Reichstag an
die revolutionären Studenten appelliert: „Alle wahren Demokraten
müssen darüber wachen, daß die alte Klassen-Tyrannei von rechts
nicht durch eine Klassen-Tyrannei von links ersetzt werde. Laßt Euch
127
nicht durch Rachegefühle zu der verhängnisvollen Meinung verleiten,
daß eine vorläufige Diktatur des Proletariats nötig sei, um Freiheit in
die Köpfe der Volksgenossen hineinzuhämmern. Gewalt erzeugt nur
Erbitterung, Haß und Reaktion.“
EINSTEINs Parole war 1918, daß alle Menschen guten Willens loyal zur
demokratischen Regierung stehen müßten. Wie in seinen wissen-
schaftlichen Ansichten folgten ihm die Gelehrten nur langsam und zö-
gernd. Noch mehr als in der Physik stehen in der Politik dem Fort-
schritt eingewurzelte Vorurteile entgegen. In seinem Buch Die Struk-
tur wissenschaftlicher Revoltionen hat THOMAS S. KUHN die Analogie
zwischen der wissenschattlichen und der gesellschaftlichen Entwick-
lung herausgearbeitet.
Der junge EINSTEIN war in der Wissenschaft den Kollegen um Jahr-
zehnte voraus gewesen; nur langsam halte sich der Abstand verringert.
Das entscheidende Datum war das Jahr 1927. Hier blieb EINSTEIN ste-
hen; die jungen Quantenphysiker aber schritten weiter voran, geführt
von NIELS BOHR, WERNER HEISENBERG und WOLFGANG PAULI.
Wie war es auf dem politisch-gesellschaftlichcn Gebiet? EINSTEIN
hatte sich schon vor dem Ersten Weltkrieg, im Zeitalter des Imperia-
lismus, als Weltbürger gefühlt. Seine deutschen Kollegen dagegen,
auch die jüdischen, wie etwa MAX BORN oder FRITZ HABER, dachten
„national“. Erst durch die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und
durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten bahnte sich eine
Änderung an. Ein besonders typisches Beispiel war ARNOLD SOMMER-
FELD: Dem Ostpreußen war der höchste politische Wert das deutsche
Vaterland gewesen. 1934 aber schrieb er an EINSTEIN, „daß das natio-
nale Gefühl, das bei mir stark ausgeprägt war, mir gänzlich durch Miß-
brauch des Wortes ,national` seitens unserer Machthaber abgewöhnt
wurde. Ich hätte jetzt nichts mehr dagegen, wenn Deutschland als
Macht zugrunde ginge und in einem befriedeten Europa aufginge.“
Der Pazifismus EINSTEINs war den meisten Berliner Kollegen noch in
den zwanziger Jahren suspekt. Spätestens nach dem Zweiten Welt-
krieg hatten sie endlich alle verstanden, was ein Krieg im Industrie-
zeitalter bedeutet. Wenn sie sich auch nicht ausdrücklich „Pazifisten“
nannten, so waren sie dies doch faktisch geworden.
Die Atombombe hatte das Arsenal des Schreckens noch einmal ent-
scheidend vergrößert. Am 16. Juli 1945 war zum ersten Mal eine
Atombombe zur Explosion gebracht worden, und die Menschheit
hatte damit die Schwelle in das „Zeitalter des Atoms“ überschritten,
wie es im offiziellen Bericht des amerikanischen Kriegsministeriums
hieß: „An einem Stahlturm befestigt wurde eine revolutionäre Waffe
128
- bestimmt, den Krieg, so wie wir ihn kennen, zu ändern oder aller
Kriege Ende herbeizuführen - entladen mit einer Wucht, die den Ein-
tritt der Menschheit in eine neue physikalische Welt ankündigte.“
Es gehört zur Tragik seines Lebens, daß gerade EINSTEIN, der den
Krieg so sehr haßte, den Anstoß zum Bau der Atombombe gegeben
hat. „Meine Beteiligung bei der Herstellung der Bombe bestand in ei-
ner einzigen Handlung: Ich unterzeichnete einen Brief an Präsident
Roosevelt . Ich war mir der furchtbaren Gefahr wohl bewußt, die
das Gelingen dieses Unternehmens für die Menschheit bedeutete,
aber die Wahrscheinlichkeit, daß die Deutschen am selben Problem
mit Aussicht auf Erfolg arbeiten dürften, hat mich zu diesem Schritt
gezwungen. Es blieb mir nichts anderes übrig, obwohl ich stets ein
überzeugter Pazifist gewesen bin. Töten im Krieg ist nach meiner Auf-
fassung um nichts besser als gewöhnlicher Mord.“
EINSTEIN hatte durch seine Formel E = mxc2 den ersten Fingerzeig ge-
geben; OTTO HAHN durch die Entdeckung der Kemspaltımg die kon-
krete wissenschaftliche Entwicklung in Gang gebracht. Jetzt fühlten
sich beide gleichermaßen verpflichtet, die Welt eindringlich vor einem
Atomkrieg zu warnen.
Sehr scharf hat EINSTEIN reagiert, als nach Ausbruch des Korea-Krie-
ges in der amerikanischen Öffentlichkeit Pläne zur Wiederaufrüstung
der Bundesrepublik Deutschland und Japans auftauchten. Überrascht
habe ihn nicht die Haltung Deutschlands, „sondern die Haltung der
westlichen Nationen, die trotz ihrer unglücklichen Erfahrungen in
der Vergangenheit eifrigst daran arbeiten, die so gefährliche deutsche
Macht wiederherzustellen. “
EINSTEIN hat wohl nicht registriert, daß die Bevölkerung Deutschlands
eine grundlegend gewandelte Einstellung besaß. Die Menschen hatten
aus den bitteren Erfahrungen zweier Kriege gelernt; sie wollten Frie-
den. Anders als vor dem Ersten Weltkrieg und anders noch als in den
zwanziger Jahren war in Deutschland nicht die Aufrüstung populär,
sondern die Entmilitarisierung. Der geplante „Verteidigungsbeitrag“
stieß in der Bevölkerung auf heftigen Widerstand.
128
Einstein in seinen letzten Jahren. Damals dichtete er:
„So sieht der alte Kerl jetzt aus/ Du fühlst: Ojeh!
Es ist ein Graus/Denk: Auf das Innre kommt es an/
Und überhaupt was liegt daran?“
129
Der deutsche Bundeskanzler KONRAD ADENAUER hatte mit den drei
Besatzungsmächten - den Vereinigten Staaten, Großbritannien und
Frankreich - die Pariser Verträge geschlossen. Damit war die Rück-
gabe der Souveränität an die Bundesrepublik Deutschland verbunden
mit der Eingliederung in die militärische Allianz der Westmächte. Bei
der Ratifizierung der Verträge im Deutschen Bundestag verschärften
sich die Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition.
Der Nordwestdeutsche Rundfunk kündigte für den 13. Februar 1955
einen Vortrag über die Bedeutung der Kernenergie von WERNER HEI-
SENBERG an. ADENAUER befürchtete, daß HEISENBERG auch einige
Worte zu der so leidenschaftlich diskutierten Frage der möglichen
Anwendung im Kriege sagen würde. Das mußte die Unruhe der Be-
völkerung noch weiter steigern und die Ratifizierung der Verträge
ernsthaft gefährden.
In einem Telefongespräch beschwor ADENAUER den Physiker, seinen
Vortrag abzusagen. HEISENBERG erfüllte die Bitte des Bundeskanz-
lers.
Der Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks ADOLF
GRIMME verständigte sofort HEINRICH KOPF in Hannover, dessen Kabi-
nett er noch kurz zuvor als Kultusminister angehört hatte. Der Mini-
sterpräsident ging selbst zu OTTO HAHN.
129
Bundeskanzler Adenauer 1958 bei der Max-Planck-Gesellschaft. Adenauer
(links), Heisenberg (Mitte), Laue (halb verdeckt) und Halm (rechts).
129
Aus Otto Hahns Karikaturensammlung
130
Konstituierung der „Deutschen Atomkommission“ (DA K) 1952. Von links: Heisenberg, Haxel, Hahn und der CSU- Politiker Franz Josef Strauß.
130
Kopf war als echter Landesvater von Sorgen über den drohenden
Krieg gequält mit den unabsehbaren Folgen für die Menschen. Lei-
denschaftlich sprach er mit OTTO HAHN. „Kopf war innerlich sehr er-
regt“, notierte dieser in seinem Tagebuch: „So hatte ich ihn noch nie
gesehen.“
Am 13. Februar 1955, Sonntagnachmittag zur besten Sendezeit, hör-
ten Hunderttausende OTTO HAHN zum Thema „Kobalt 60 - Gefahr
oder Segen für die Menschheit“. Selbst von ihm gesprochen, wurde
der Vortrag auch in englischer Fassung in Großbritannien, Dänemark
und Norwegen ausgestrahlt.
Die Reaktion der Menschen war eine Ermutigung. So regte OTTO
HAHN eine gemeinsame Erklärung der Nobelpreisträger an, die später
als Mainauer Kundgebung Aufsehen erregte:
„Wir...sind Naturforscher aus verschiedenen Ländern, verschiede-
ner Rasse, verschiedenen Glaubens, verschiedener politischer Über-
zeugung. Äußerlich verbindet uns nur der Nobelpreis, den wir haben
entgegennehmen dürfen.
130
Die sogenannte „Mainauer Kundgebung“ (15. Juli 1955) der Nobelpreisträger,
an deren Abfassung Otto Hahn maßgeblich beteiligt war.
131
Der 75. Geburtstag von Otto Hahn am 8. März 1954.
Von links: Otto Hahn, Adolf Grimme, Heinrich Kopf und Adolf Butenandt.
132
Lindauer Tagung der Nobelpreisträger 1959.
Von links: Max Born, Max von Laue und Otto Hahn.
133
Mit Freuden haben wir unser Leben in den Dienst der Wissenschaft
gestellt. Sie ist, so glauben wir, ein Weg zu einem glücklicheren Leben
der Menschen. Wir sehen mit Entsetzen, daß eben diese Wissenschaft
der Menschheit Mittel in die Hand gibt, sich selbst zu zerstören.
Voller kriegerischer Einsatz der heute möglichen Waffen kann die
Erde so sehr radioaktiv verseuchen, daß ganze Völker vernichtet wür-
den. Dieser Tod kann die Neutralen ebenso treffen wie die Kriegfüh-
renden.
Wenn ein Krieg zwischen den Großmächten entstünde, wer könnte
garantieren, daß er sich nicht zu einem solchen tödlichen Kampf ent-
wickelte? So ruft eine Nation, die sich auf einen totalen Krieg einläßt,
ihren eigenen Untergang herbei und gefährdet die ganze Welt.
Wir leugnen nicht, daß vielleicht heute der Friede gerade durch die
Furcht vor diesen tödlichen Waffen aufrechterhalten wird. Trotzdem
halten wir es für eine Selbsttäuschung, wenn Regierungen glauben
sollten, sie könnten auf lange Zeit gerade durch die Angst vor diesen
Waffen den Krieg vermeiden. Angst und Spannung haben so oft Krieg
erzeugt. Ebenso scheint es uns eine Selbsttäuschung, zu glauben, klei-
nere Konflikte könnten weiterhin stets durch die traditionellen Waf-
fen entschieden werden. ln äußerster Gefahr wird keine Nation sich
den Gebrauch irgendeiner Waffe versagen, die die wissenschaftliche
133
Lise Meitner an der Tafel: Eine Kerneaktion mit Fluor 19 wird angeschrieben.
133
Technik erzeugen kann. Alle Nationen müssen zu der Entscheidung
kommen, freiwillig auf die Gewalt als letztes Mittel der Politik zu ver-
zichten. Sind sie dazu nicht bereit, so werden sie aufhören zu existie-
ren.“
Zur gleichen Zeit, als OTTO HAHN die Mainauer Kundgebung vorbe-
reitete, beschäftigte sich auch ALBERT EINSTEIN mit einem Appell an
die Weltöffentlichkeit. BERTRAND RUSSEL hatte einen Entwurf an
EINSTEIN geschickt. Dieser zog sogleich NIELS BOHR mit heran. „Run-
zeln Sie Ihre Stirne nicht“, schrieb er, „denn es handelt sich heute nicht
um unseren alten physikalischen Streitpunkt, sondern uM etwas, in
dem wir völlig einer Meinung sind. BERTRAND RUSSEL . . .will eine
kleine Zahl von international angesehenen Gelehrten zusammenbrin-
gen, damit sie eine gemeinsame Warnung an alle Völker und Regie-
rungen ergehen lassen wegen der durch die Atomwaffen und das
Wettrüsten geschaffenen, alle Völker bedrohenden Situation.“
An der Berühmtheit schien ihnen das wohl der einzige positive
Aspekt: Daß sie gehört wurden von den Menschen. MAX VON LAUE
und LISE MEITNER blieben in der Öffentlichkeit meist unbehelligt; sie
waren nur in der engeren „scientific community“ bekannt. Auf Kon-
gressen wurden freilich auch sie von Journalisten und Studenten umla-
gert.
134
OTTO HAHN war auch dem „Mann auf der Straße“ ein Begriff. Was das
konkret bedeutet, geht - ein Beispiel von vielen - aus einem Brief von
1953 hervor, den HAHN seiner Frau aus Wien geschrieben hat: „Ich
wurde gleich in das Hotel Sacher gebracht und aß dort ein großes Stück
Sachertorte. Alles wäre sehr schön, wenn nicht dauernd Rundfunkge-
sellsehaften hinter einem her wären. Dadurch kommt man zu nichts
Vernünftigem. Plötzlich bin ich wer weiß wie berühmt für eine Sache,
mit der ich außer dem ersten Anlaß gar nichts zu tun habe, und bei der
ich genauso Laie bin, wie jeder andere Sterbliche. Ich komme mir wie
ein absoluter Hochstapler vor, der Angst haben muß, von einem Kri-
minalen ertappt zu werden.“
„Eine sonderbare Popularität hat es mit sich gebracht“, schrieb EIN-
STEIN etwa zur gleichen Zeit, „daß alles was ich tue, sich zu einer ge-
räuschvollen Affenkomödie auswächst. Dies bedeutet für mich einen
völligen Hausarrest, der mich in Princeton festhält. Mit der Geigerei
ist es nichts mehr bei mir. Mit den Jahren kam es, daß ich die selbster-
zeugten Töne einfach nichtmehr aushalten konnte . . .Was geblieben
ist, ist die unentwegte Arbeit an den harten wissenschaftlichen Pro-
blemen. Dieser faszinierende Zauber wird bis zu dem letzten Schnau-
fer anhalten.“
Als das 50jährige Jubiläum seiner großen Arbeit von 1905 heranrück-
te, war EINSTEIN beunruhigt, wieder im Mittelpunkt großer Feiern ste-
hen zu sollen. Eine schwere Erkrankung erschien ihm geradezu als Er-
lösung. Drei Monate vor seinem Tode schrieb er dem alten Freund
MAX VON LAUE: „Ich muß gestehen, daß diese göttliche Fügung für
mich auch etwas Befreiendes hat. Denn alles, was irgendwie mit Per-
sonenkultus zu tun hat, ist mir immer peinlich gewesen . . . Wenn ich in
den Grübeleien eines langen Lebens eines gelernt habe, so ist es dies,
daß wir von einer tieferen Einsicht in die elementaren Vorgänge viel
weiter entfernt sind, als die meisten unserer Zeitgenossen glauben.“
Ausdrücklich hat er sich ein eigenes Grab und jedes Denkmal verbo-
ten. Sein Haus sollte nicht zu einem Museum gemacht werden.
MAX VON LAUE griff zur Feder, als ihn die Nachricht vom Tod EIN-
STEINs erreichte: „Nicht nur das Leben eines großen und edlen Den-
kers ist zu Ende gegangen, sondern auch eine Epoche der Physik.“
Noch treffender aber hat es in der Übertreibung, der Karikaturist der
Washington Post ausgedrückt: Wenn dereinst einmal in ferner Zu-
kunft aus der Tiefe des Weltraumes Intelligenzen (ob Menschen oder
menschenähnliche Wesen) den Kosmos durchmustern, dann scheint
ihnen von dem planetarischen Staubkorn, das wir Erde nennen, nur
eines hervorhebenswert: ALBERT EINSTEIN lived here. Hier hat EIN-
STEIN gelebt.
134
Karikatur aus der Washington Post.
135
Handschriftliche Aufzeichnungen Max von Laues am 18. April 1955.
Dies war der Tag, als Einstein im Krankenhaus von Princeton starb.
136
Bild Albert Einsteins aus den letzten Lebensjahrerı (um 1952). Seine ungespielte
Bescheidenlıeit und das völlige Desinteresse an der äußeren Erscheinung prägten
unverwechselbar sein Bild in der Öffentlichkeit. Er wurde die Personifizierung
des weltrfremden Genies, in dessen Gedankenhöhen kein gewöhnlicher Sterblicher
zu folgen vermag.
ENDE XV
Aus der (zensierten?) I. Auflage:
137?
Im Rahmen der Diskussion um den letztendlichen Standorts der Reaktorstationen auf Karlsruher Stadt- und Landgebiet waren die hiergegen sturmlaufenden Gemeinden und ihre Ortsvorsteher selbst in der überregionalen Presse einen scharfen Kritik ausgesetzt. So mußte sich der Bürgermeister der Gemeinde Friedrichstal, Max Borell, unter anderen durch den “STERN” den Vorwurf gefallen lassen mit seiner halsstarrigen Forschrittsfeindlichkeit den Aufbau einer Energiequelle zu hemmen, “die wir” so der “STERN”, in ein paar Jahren bitter nötig brauchen”. Als Querulant apostrophiert, gelang es Borell nicht, sich mit den ernsthaften Sorgen, die er sich um das Wohlergehen seiner Gemeinde machte, auf politischem Gebiet durchzusetzen. (Aus “STERN”, Februar 1957.)
138?
DIE OSTERMäRSCHE IN ”EINZELBEISPIELEN”
Zehntausende haben bei den Osternmarschaktionen 1982 für Frieden und Abrüstung
protestiert. Etwa 4 000 Menschen marschierten drei Tage lang durch das Ruhrgebiet nach Dortmund. Dort sprach bei der Abschlußkundgebung die Theologie-Professorin Ranke-Heinemann und der Berliner Pfarrer Heinrich Albertz (unten).
Unten rechts: In kleinen Gruppen veranstalteten die Demonstranten 1983
Sternmärsche gegen die geplante Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik.
Aus Ludwigsburg, Reutlingen und Eßlingen demonstrie