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LUTHER DEUTSCH 76-81

2017. december 28. 10:58 - RózsaSá

76 Der Bruch, der Bann und der Beginn einer neuen Zeit

Als Luther nach dem letzten Gespräch mit Cajetan gefragt wird, wie

es denn jetzt weitergehen soll und wo er bleiben wolle, sagt er: »Un-

term Himmel.<< Was so viel heißt wie: in Gottes Hand.

Luther weiß jetzt, dass es sich bei dem Personal, mit dem er es zu

tun bekommen hatte und noch zu tun bekommen würde, nicht um

Glaubende und Gottesfürchtige handelt, sondern um Glaubensbeam-

te, professionelle Manager des Kirchenbetriebs, Karrieristen, Funk-

tionäre, die selten oder noch nie um die Wahrheit gerungen, einen

theologischen Gedanken gründlich durchdacht, geschweige denn

existenziell durchlitten hatten. Die vielen Argumente, die sich Luther

für das Gespräch mit Cajetan zurechtgelegt hatte, die befreienden Er-

kenntnisse, die er sich über viele Jahre mühsam erkämpft hatte, die

existenziellen Erfahrungen im Ringen mit Gott - das alles hat diesen

Kirchenkarrieristen überhaupt nicht interessiert.

War ja auch nicht mein Job, würde Cajetan heute darauf antwor-

ten. Ich bin doch nicht nach Augsburg gereist, um mich für die aus

dem Ruder gelaufenen Gedanken eines unbedeutenden Mönches aus

der Provinz zu interessieren. Vielmehr lautete mein Auftrag, die Stö-

rung, die von Luther ausging, zu beseitigen und ihm klarzumachen,

dass es nur noch zwei Möglichkeiten gibt: Entweder du widerrufst

und wirst fortan wieder still sein, oder du bekommst einen »fairen«

Ketzerprozess, der im Feuer enden wird.

Luther in seiner unschuldigen Naivität war diese Klarheit des Ca-

jetan'schen Auftrags vor seinem Gespräch wohl kaum so bewusst. Da-

nach aber war er um eine Erfahrung reicher, zu der sich im weiteren

Verlauf immer mehr ähnliche Erfahrungen gesellten, die ihn seiner

einst geliebten Kirche zunehmend entfremdeten.

77 In unserer heutigen Sprache kann man diese Erfahrungen folgen-

dermaßen zusammenfassen: So wie Cajetan sind sie alle, die rangho-

hen Kleriker. Keine Hirten sind sie, keine Seelsorger, keine Verkün-

der des Evangeliums, keine demütigen Sünder, sondern eitle Manager

des Kirchenbetriebs, gewiss tüchtig, intelligent, fleißig, gebildet,

weltgewandt, manche sogar sympathisch, andere arrogant, faul und

überheblich, aber alle sind zuvörderst Profis der Macht, der sie die-

nen, die ihnen ihr Auskommen sichert, sie mit regelmäßigen Beför-

derungen erfreut, ihnen einen hohen sozialen Status und Privilegien

verschafft. Ihr Bestreben ist es, gemäß ihrer Funktion innerhalb der

Hierarchie der Macht möglichst reibungslos und effizient zu funkti-

onieren. An so etwas wie Wahrheit, die ja doch meistens nur stört, ja

sogar der eigenen Stellung und dem eigenen Betrieb gefährlich wer-

den kann, besteht daher ausdrücklich kein Interesse. Das Schicksal

ihrer anvertrauten Gläubigen ist ihnen schon seit Jahrhunderten so

vollkommen gleichgültig wie die Botschaft dieses Christus, dem sie

ja eigentlich dienen sollten. In den ihnen als ››Hirten« anvertrauten

»Schafen« vermögen sie nichts anderes zu erkennen als Futter und

Zugvieh für ihren Betrieb, dessen Sinn es ist, sich selbst zu erhalten,

zu wachsen und Macht, Geld, Besitz und Pfründe zu akkumulieren.

Für dieses Ziel arbeiten sie hochprofessionell an jedem Tag von mor-

gens bis abends. Begierig eignen sie sich jenes Wissen, Herrschafts-

wissen und Know-how an, das ihnen hilft, ihr Ziel zu erreichen. Alles

andere blenden sie aus.

Und von diesen Typen soll ich mich fertigmachen lassen?, muss

Luther gedacht haben, als er diese mit Cajetan gemachte Erfahrung

verarbeitete. Sie gehen über Leichen und wollen auch über meine ge-

hen, wollen mich zertreten wie eine Fliege. Sollen sie es versuchen,

aber ich werde es ihnen so schwer wie möglich machen, ich habe der

Welt noch einiges mitzuteilen, und erst, wenn ich alles gesagt habe,

was zu sagen ist, werde ich bereit sein fürs Märtyrerschicksal.

So organisiert Luther seine Flucht aus Augsburg.

In der Nacht zum 21. Oktober wird er aus dem Schlaf gerissen und

78 von Augsburger Bürgern auf Schleichwegen zum Stadttor geschmug-

gelt, hinausgeführt und auf ein bereitstehendes Pferd gesetzt. In der

Kutte, »ohne Hosen, Stiefel, Sporn und Schwert«, wie er später er-

zählte, reitet er zehn Tage lang, bis er in Wittenberg ankommt.

Dort wird er von seinem Ordensoberen, Johannes von Staupitz,

mit einer harten, aber wenig überraschenden Nachricht empfangen:

Er, Staupitz, sei von seiner Ordenszentrale aufgefordert worden, ihn,

Luther, >›an Händen und Füßen gefesselt« einzusperren.

Staupitz war Luthers Beichtvater und geistlicher Lehrer, hat ihn

über zehn Jahre hinweg begleitet, kennen und schätzen gelernt und

ihn gefördert, hegte Sympathien für seine Ideen, und darum kommt

es für den Ordensgeneral nicht infrage, den Befehl auszuführen. Re-

agieren aber muss er auf das Begehren der Zentrale. Daher legt er

Luther nahe, den Orden zu verlassen.

Luther versteht, dass es wohl anders nicht geht, fügt sich. Stau-

pitz entbindet ihn von seinem Gelübde, und Luther ist nun eigentlich

kein Mönch mehr, nicht mehr Mitglied seines Ordens, kehrt aber -

mit Staupitz' Erlaubnis - diskret ins Kloster zurück, wo er wieder

sein Turmzimmer bezieht und dort weitermacht, wo er vor Augsburg

aufgehört hat. Auf diese sanfte Tour torpediert Luthers Vorgesetzter

ohne viel Aufhebens die Bemühungen Roms, des Ketzers habhaft zu

werden.

Auch der Kurfürst spielt mit, leistet Widerstand. Er hat schon

recht bald einen Brief von Cajetan erhalten. Inhalt: Luther sei entwe-

der an Rom auszuliefern oder des Landes zu verweisen. Die päpstliche

Tötungsmaschinerie war angesprungen. Es ist der 25. Oktober 1518.

Die Lage wird nun allmählich wirklich ernst für Luther.

Wahrscheinlich waren die Wochen und Monate nach diesem 25.

Oktober die letzte Zeitspanne, in der die Reformation noch zu stop-

pen gewesen wäre. Hätten der Kurfürst und Staupitz die Befehle aus

Rom sofort ausgeführt, wäre es mit Luther und der Reformation vor-

bei gewesen. Hätten umgekehrt die Verantwortlichen der Kirche ein

Gespür dafür gehabt, wie es im Volk gärte und wie dieser Luther der

79 Stimmung des Volkes gegen die Kirche eine Stimme verlieh, hätten

sie schnell ihr Kriegsbeil gegen Luther begraben, eine Reformkom-

mission gegründet und Luther zu dessen Vorsitzenden gemacht. Aber

hinter dicken Kirchenmauern merkt man zu spät, was die Stunde

geschlagen hat.

Und zur Auslieferung Luthers kam es nicht. Staupitz torpedierte

das Ansinnen aus Rom, indem er nach oben meldete, Luther sei

nichtmehr Mitglied des Ordens und unterstehe daher nicht mehr

den Machtbefugnissen des Ordens~Chefs. Und der Kurfürst zögerte

die Sache einfach hinaus, was damals wesentlich einfacher war als

heute, in Zeiten von E-Mail und Internet. Anweisungen aus Rom und

Berichte nach Rom waren nicht schneller als die Pferde, mit denen

sie transportiert wurden.

Dennoch: Auch ein Kurfürst kann eine rechtsverbindliche Anord-

nung von oben nicht ewig hinauszögern, das war ihm natürlich klar.

Unklar war, was zu tun sei, wenn er sich durch weitere Verzögerun-

gen selbst in Schwierigkeiten brächte. Doch dafür sorgen manchmal

glückliche Zufälle oder göttliche Fügungen, so auch im Fall Luther.

Während Luthers Kurfürst und sein Orden die Sache mit der Ver-

haftung vor sich hindümpeln ließen, funkte die tagesaktuelle Welt-

politik in die Angelegenheit hinein. Im Januar 1519 starb Kaiser Ma-

ximilian. Jetzt hatte man in Rom keine Zeit mehr für Ketzerfragen

und Luther-Ärger. Jetzt musste möglichst schnell ein der Kirche ge-

nehmer Nachfolger für Maximilian gefunden werden. Der spanische

König Karl, ein Habsburger, also ausgerechnet der, den man in Rom

nicht will, wird bereits für dieses Amt gehandelt. Kann man ihn noch

verhindern? Wer käme noch infrage? Franz I. von Frankreich hat sei-

nen Hut in den Ring geworfen. Den will man in Rom eigentlich auch

nicht. Wen aber dann? Wie kann man von Rom aus die Sache so steu-

ern, dass sie günstig ausgeht für das Anliegen des Klerus? Wie findet

man einen Kaiser, der mächtig und stark genug ist, den Osmanen Pa-

roli zu bieten, aber nicht so stark, dass er auch dem Papst in die Quere

kommen kann? Schwierig. Wird wohl doch nicht so schnell gehen.

80 Und so war nun erst einmal Wahlkampf im Heiligen Römischen

Reich und dabei ging es zu wie in der FIFA und dem IOC. Es flos-

sen reichlich Bestechungsgelder an die Wahlmänner. König Karl soll

insgesamt 852 000 Gulden in die Waagschale geworfen haben, gelie-

hen von den Fuggern, die ihn als Kaiser haben wollten. Sie wussten

von den sagenhaften Silber- und Goldschätzen, welche die spanischen

Schiffe aus Amerika nach Europa brachten, und dachten, mit solchen

Leuten ließen sich bessere Geschäfte machen als mit dem päpstlichen

Pleitier in Rom. Aber auch die Franzosen ließen sich nicht lumpen

und halfen mit Geld nach, um ihren König Franz durchzusetzen. Die

öffentliche Meinung der Deutschen, der Adel im Reich, die Bürger-

schaft, die Professoren, die einflussreichen humanistischen Literaten

fürchteten den französischen Einfluss insgesamt mehr als den habs-

burgischen. Karl war zwar in Burgund aufgewachsen, konnte nicht

mal Deutsch, hatte aber deutsche männliche Vorfahren, war also ir-

gendwie deutscher als der Franzose.

So neigte sich die Waage zugunsten des Königs Karl. Um diese

Neigung zu stoppen, bot Papst Leo X. in seiner Not dem sächsischen

Kurfürsten Friedrich dem Weisen an, ihn zum König zu machen, falls

er wenigstens zwei Kurstimmen erhalte. Friedrich aber trug nicht

umsonst den Beinamen »der Weise«. Er erkannte sofort, was auch

der Papst wusste, und weshalb dieser ihn haben wollte: Er wäre ein

schwacher König geworden, denn ihm fehlte .die Machtbasis, Geld,

Soldaten. Daher lehnte er ab, schlug sich auf Karls Seite und er-

möglichte dessen einstimmige Wahl zum Kaiser am 28. Juni 1519 -

allerdings nicht umsonst. Kein Profi tut einem anderen einen Gefal-

len ohne Gegenleistung.

Und so rang der weise Friedrich dem jungen, noch unerfahrenen

Kaiser eine kleine Maßnahme für seinen Schützling Luther ab, al-

lerdings ohne dessen Namen zu erwähnen. Die Maßnahme bestand

in einer scheinbar unwesentlichen Änderung des Verfahrens beim

Erlass der Reichsacht: Der Kaiser sollte über die von Rom Gebann~

ten die Reichsacht erst dann verhängen, wenn diese zuvor von einem

81 ordentlichen Gericht und in aller Öffentlichkeitgehört und vernom-

men worden waren.“

Friedrich, der alte Fuchs, hatte intelligent vorgesorgt für das, was

unweigerlich kommen würde: die Bann-Androhungsbulle aus Rom

für Luther. Sein sturer Luther wird sich davon nicht einschüchtern

lassen, auch das war für Friedrich vorhersehbar. Also wird der Kir-

chenbann folgen. Auf den Kirchenbann hat automatisch die Reichs-

acht zu folgen.

Und beides zusammen, in »Acht und Bann« geschlagen zu sein,

heißt vogelfrei zu sein. Heißt wiederum des Todes zu sein. Jeder kann

einen Vogelfreien erschlagen, sich seines Besitzes ermächtigen, ihn

irgendwo verscharren wie einen Hund. Wenn ein Ketzer - aus wel-

chen Gründen auch immer - nicht der Kirche ausgeliefert werden

kann, wird eben der Ketzer den Mördern und Räubern ausgeliefert.

In diesen Straf- und Tötungs-Automatismus hat der weise Kur-

fürst durch sein geschicktes Taktieren bei der Kaiserwahl mit seiner

dem Kaiser aufgeschwatzten Reichsacht-Klausel eine Bremse einge-

baut, die sich schon bald als lebensrettend erweisen sollte. Zunächst

aber passierte erst mal nichts. Der Kaiser war zwar gewählt, aber

noch nicht gekrönt. Es dauert mehr als ein weiteres Jahr, bis ihm im

Herbst 1520 in Aachen die Krone aufs Haupt gesetzt wird.

So vergingen zwischen dem Tod des alten und der Krönung des

neuen Kaisers fast zwei Jahre, während denen der Fall Luther ruhte,

weil Papst, Kaiser und die Fürsten Wichtigeres zu regeln hatten. In

 

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