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High tech vagy low tech? | öko-retro-bio-grín

FLASSBECKdeutsch

2019. január 20. 10:20 - RózsaSá

kapitalintensiven Pro-duktionstechniken mit den Billiglöhnen der aufholenden Länder zu kombinieren. Die dadurch möglichen tempo-rären Monopolgewinne machen jede andere Lösung von vornherein unwirtschaftlich. Nur weil die ökonomischen Standardmodelle unterstellen, Monopolgewinne spielten in den Kalkülen der Unternehmen keine Rolle, hat die herrschende Lehre keinerlei Zugang zu einer realistischen Analyse des internationalen Handels und der Faktorwan-derüng. Tragisch ist dabei, dass sich fachfremde Intellek-

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tuelle — freilich ohne zu wissen, was sie tun — die Annah-men der Standardmodelle zu eigen machen und auf dieser Basis die Globalisierung zu analysieren versuchen.

Handel bei Kapitalwanderung

Befürworter von Lohnkostensenkungen in den reichen Ländern führen als Argument dafür regelmäßig die Mög-lichkeit des Kapitals an, in Niedriglohnländer abzuwan-dern. Die hiesige Arbeitslosigkeit zeige, dass zu wenig im Inland investiert werde. Das läge daran, dass aufgrund der vergleichsweise zu hohen Löhne die Rentabilität des Kapitals zu gering sei. Böten sich außerhalb Deutschlands gewinnträchtigere Anlagemöglichkeiten, würden diese auch genutzt und das Kapital fließe ab. Dieser Mechanismus habe seit Ende des Ost-West-Konflikts und der damit einhergehenden intensiveren Teil-nahme ärmerer Volkswirtschaften am Welthandel eine neue Dynamik erreicht, an die man sich hierzulande anzu-passen habe. Die Knappheitsverhältnisse der Produktions-faktoren hätten sich grundlegend gewandelt: Es stünden eben sehr viel mehr Arbeitskräfte zur Verfügung, zugleich brächten diese aber keinen auch nur annähernd so hohen Kapitalstock mit in die Weltwirtschaft ein wie ihre Kolle-gen aus den Industrienationen, so dass der Faktor Kapital im Vergleich zu Arbeit viel knapper geworden sei. Diese gestiegene Knappheit mache es notwendig, das Kapital durch niedrigere Löhne zum Bleiben zu bewegen, da- die niedrigen Löhne in den aufholenden Volkswirtschaften eine enorme Sogwirkung auf das hiesige Kapital ausübten (vgl. Sinn 2003, S.91 ff.). Richtig ist an dieser Sichtweise, dass es für hiesige Un-ternehmer tatsächlich lohnend sein kann, ihre kapitalin-tensiven Produktionstechnologien mit den in den aufho-lenden Volkswirtschaften herrschenden Billiglöhnen zu kombinieren. Das war schon immer eine Möglichkeit, vorübergehende Monopolgewinne zu erzielen, und mag seit 1989 einfacher zu realisieren sein. Auch für Unterneh-mer in den Billiglohnländern selbst besteht ein großer An-reiz, die westlichen Technologien zu kopieren, das heißt, diese zu importieren, um dann in Kombination mit den niedrigen heimischen Löhnen überdurchschnittliche Ge-winne zu erwirtschaften. Denn sofern die Lohnentwick-lung im Niedriglohnland der durchschnittlichen Pro-duktivitätsentwicklung in der dortigen Gesamtwirtschaft folgt, können über Jahre und sogar Jahrzehnte hinweg beachtliche Monopolgewinne erzielt werden, da das Pro-duktivitätsniveau dort aufgrund des niedrigen Ausgangs-wertes des Kapitalstocks noch lange unterhalb dessen lie-gen wird, was in den reichen Ländern erreicht ist. Abwegig ist es jedoch, die Kapitalwanderung in Nied-riglohnländer für die hiesige Arbeitslosigkeit verantwort-lich zu machen. Denn wer die wirtschaftliche Entwick-lung der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg oder etwa die Polens seit dem Fall der Mauer betrachtet, stellt fest, dass Kapitalwanderungen nicht schlagartig und in großem Maßstab, sondern allmählich erfolgen. Sonst hätte der Aufbau des westdeutschen Kapitalstocks nach dem Krieg viel schneller geschehen müssen. Auch Polen müsste mit seinen Billiglöhnen nach dreißig Jahren längst hoch industrialisiert sein, wenn die Nettokapitalbewegung von Hoch- zu Niedriglohnländern so gewaltig wäre, wie dies die Globalisierungspessimisten behaupten.

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Das überschaubare Ausmaß. von Kapitalverlagerungen erklärt sich einerseits dadurch, dass sie nicht risikolos zu bewerkstelligen sind. So muss etwa das erforderliche »Hu-mankapital« im Niedriglohnland vorhanden sein, also das Know-how auf allen Ebenen des Produktionsprozesses. Die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingun-gen der aufholenden Volkswirtschaft müssen stabil genug sein, um Unternehmen dazu zu bringen, langfristig in die-sem Land zu investieren. Häufig wechselnde Regierun-gen mit unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Konzep-ten können auf in- wie ausländische Investoren ebenso abschreckend wirken wie mangelnde innere Sicherheit. Gegen die Angst vor massiver Kapitalabwanderung in Niedriglohnländer und drohender Kapitalknappheit in Hochlohnländern spricht jedoch noch ein viel grundle-genderes Argument. Fasst man die wirtschaftliche Ent-wicklung als einen Prozess auf, in dessen Verlauf Gewin-ne und damit Kapital entstehen, geht es gar nicht in erster Linie um das gegenseitige Ausstechen der Unternehmer, Arbeitnehmer oder Länder beim angeblich nur sehr lang-sam (via Sparen) vermehrbaren Produktionsfaktor Kapi-tal. Wenn tatsächlich Gewinnchancen in Niedriglohn-ländern genutzt werden können, vermehrt sich das im Entwicklungsprozess der aufholenden Länder so drin-gend benötigte Kapital durch den Prozess selbst. Also auf eine Weise, welche die Kapitalbilanz des Niedriglohn-landes nicht belastet und es ihm erlaubt, mehr Güter als sonst möglich aus den Hochlohnländern zu importieren. Der Import von Kapital und Know-how ist aus der Perspektive des Entwicklungslandes und aus der Sicht der reichen Länder also langfristig vorteilhaft. Aus Sicht des Niedriglohnlandes ist zunächst entscheidend, dass das

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Land wegen seines geringen Kapitalstocks nur mit ei-ner' sehr kleinen Palette vCin, Gütern am Weltmarkt kon-kurrenzfähig sein wird. Jeder ausländische Investor trägt zum Aufbau des Kapitalstocks und damit der Basis für mehr Einkommen und Wohlstand bei. Selbstverständlich findet auch hier ein Strukturwandel statt, und in der Re-gel ein viel gewaltigerer als in den Hochlohnländern. Denn das Nachahmen von Produktionsprozessen für weltmarkt-gängige Produkte funktioniert schneller als das Erfinden und Umsetzen neuer Technologien. Entwicklungsländer können beim Aufbau ihres Kapitalstocks Sprünge im technologischen Wandel realisieren, die den hoch entwi-ckelten Volkswirtschaften nicht möglich sind. In China müssen nicht erst die während der sechziger Jahre in den westlichen Industrieländern vorherrschenden Technolo-gien angewendet werden, sondern Investoren können so-fort die aktuelle Technik einsetzen. Dass mit dem internationalen Strukturwandel immen-se Veränderungen für die Bevölkerung des Niedriglohn-landes verbunden sind, denen meist kein mit unserem ver-gleichbares soziales Sicherungsnetz an die Seite gestellt wird, wird hierzulande oft übersehen. Dennoch stellt die Kombination der niedrigen Löhne mit der Technologie aus den Industrieländern die große Chance dar, wirt-schaftlich aufzuholen und das Wohlstandsgefälle zu den reichen Ländern zu verringern. Der Standortvorteil in Form von Niedriglöhnen ermöglicht es, technologisches Wissen zu importieren, die Palette weltmarktfähiger Pro-dukte nach und nach auszuweiten und so vom Welthandel zu profitieren. Durch die Forderung nach Lohnsenkungen in Hoch-lohnländern wird folglich implizit versucht, die Chancen der Entwicklungsländer zum Aufholen zu schmälern oder sie ihnen gar gänzlich vorzuenthalten. Diese Posi-tion wird üblicherweise von Leuten vertreten, die strikt gegen Protektionismus sind und den ärmeren Ländern alle Chancen dieser Welt versprechen, wenn sie nur ihre Märkte vollständig öffnen. Wenn aber zugleich die Wett-bewerbsfähigkeit der Industrieländer auf den Weltmärk-ten durch lohninduzierte Preissenkungen steigt, nimmt man den sich entwickelnden Volkswirtschaften zugleich die Märkte weg, da sie ihre wenigen Produkte noch schlech-ter international verkaufen können. Ginge man in die Richtung einer absoluten Angleichung der deutschen Löhne an die chinesischen oder indischen, wäre zudem eindeutig das Wechselkursventil gefordert, weil dann Deutschland gegen die zentrale Regel des inter-nationalen Handels- und Kapitalverkehrs verstieße. Bei Lohnkostensenkungen in Deutschland wäre eine weitere drastische Aufwertung des Euro unvermeidlich. Wechsel-kurse können und müssen systematisch Lohnstückkos-tendifferenzen ausgleichen, aber niemals die absoluten Lohnniveaus. Anders als viele Ökonomieprofessoren wis-sen Devisenhändler nämlich, worauf es im internationa-len Vergleich ankommt. Mindestens ebenso gravierend sind jedoch die Folgen der Lohnsenkungsstrategie im Hochlohnland Deutsch-land für all die Länder, die auf der Industrialisierungslei-ter zwischen den Weltmarktführern und den gering ent-wickelten Ländern stehen, noch dazu, wenn sie dieselbe Währung haben wie etwa Italien, Spanien, Portugal oder Griechenland. Versuchen deutsche Unternehmen durch Lohnsenkungen auf den Weltmärkten wettbewerbsfähi-ger zu werden, trifft das all diejenigen, die nur etwas nied-

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rigere Löhne haben als wir und den bisherigen Abstand bei der Ausstattung mit Kapital durch ebendiese Lohn-differenz wettgemacht haben. Diese Länder müssen dann unserem Lohnsenkungspfad folgen, wenn sie nicht sämt-liche Marktanteile verlieren wollen. Dass dies auf mittlere Sicht unweigerlich zu einer Aufwertung des Euro führt und insofern die Bemühungen der Deutschen, sich dem chinesischen Lohnniveau anzunähern, zunichtemacht, ist ein Glück für die Entwicklungsländer, aber eine Katastro-phe für die ärmeren Mitglieder der Währungsunion. Das scheint der für die Währungsunion zuständigen Euro-päischen Zentralbank erst allmählich zu schwanen — von der auf diesem Wege heraufbeschworenen Deflations-gefahr ganz zu schweigen (vgl. Europäische Zentralbank' 2005)

Diese Argumente mögen jene Arbeitnehmer in einem Hochlohnland, die ihren Arbeitsplatz wegen der Verla-gerung eines Produktionsstandortes ihres bisherigen Ar-beitgebers in ein Niedriglohnland verloren haben, nicht wirklich überzeugen, und das ist zweifellos eine schwieri-ge Situation für die Betroffenen. Die Gesellschaft muss für diese Fälle über ein funktionsfähiges soziales Siche-rungsnetz verfügen und Möglichkeiten schaffen, damit die Betroffenen in anderen Wirtschaftszweigen wieder Fuß fassen können.

*Dort zwar wurden die relevanten Daten sorgfältig zusammen-gestellt (z.B. Table z, S. 64), die naheliegende Schlussfolgerung wird aber nicht gezogen. Die einmalige Chance, die Eurokrise • in einem frühen Stadium zu vermeiden, wurde hier vertan.

Trotz dieser sicherlich nicht zu vernachlässigenden Ein-zelschicksale sieht die Situation jedoch aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive für Deutschland ganz an-ders aus: Deutschland exportiert wesentlich mehr Güter, als es importiert. Das bedeutet, dass der damit einherge-hende Mehr-Absatz von Waren im Ausland die deutsche Wirtschaft stützt und per Saldo Arbeitsplätze schafft. Das dürfte in der Regel zwar in anderen Branchen der Fall sein als in denen, die Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. Aber in der Summe stellt sich Deutschland durch den in-ternationalen Handel in Sachen Arbeitsplätze besser und nicht schlechter. Der notwendige Anpassungsprozess an den interna-tionalen Strukturwandel muss zweifellos sozial abgefe-dert werden. Jedoch so zu tun, als ob eine Wirtschaft wie die deutsche insgesamt in Hinblick auf die Arbeits-plätze der Verlierer bei der Globalisierung sei, ist schlicht falsch. Wer bei der Analyse der Ursachen der gravieren-den Arbeitsmarktprobleme in Europa auf die Globali-sierung verweist, hat nicht gründlich nachgedacht oder verfolgt mit dem Schüren von Angst eine verborgene po-litische Agenda.

Handel bei Wanderung von Arbeit

Was geschieht, wenn einzelne oder auch ganze Gruppen von Arbeitnehmern aus den Niedriglohnländern nicht warten wollen, bis ihnen Kapital zur Verfügung steht, son-dern sich selbst auf den Weg zum Kapital machen, sprich, in die Hochlohnländer einwandern? Ob das wirklich ein Massenphänomen werden könnte oder aus demografi-schen Gründen gar sollte und welche rechtlichen Gren-zen eine solche Wanderungsbewegung einschränken, soll

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hier nicht diskutiert werden. Doch welche ökonomischen Mechanismen laufen zwischen den betroffenen Ländern ab, und welche ökonomischen Spielregeln sollten gelten, um die Wanderung des Produktionsfaktors Arbeit für Herkunfts- (also Niedriglohn-) wie Einwanderungsland (also Hochlohnland) sinnvoll zu gestalten? Arbeitskräfte aus Niedriglohnländern wandern in Hoch-lohnländer, weil sie dort mehr Jobs oder einen höheren Lohn oder beides erwarten. Bei normaler Arbeitsmarkt-situation im Hochlohnland gilt de facto ein sogenanntes Bestimmungslandprinzip, das heißt, die Zuwanderer ver-dienen im Hochlohnland bei gleicher Qualifikation den gleichen Lohn wie die einheimischen Arbeitskräfte. Wel-che wirtschaftlichen Folgen hat das im Hochlohnland? Wenn die zuwandernden Arbeitskräfte reibungslos Jobs finden, ist die Zuwanderung kein Problem für das Hoch-lohnland, sie erhöht sogar das Wachstumspotenzial. Herrscht im Hochlohnland jedoch Arbeitslosigkeit, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass Zuwanderer zum herrschenden Lohn Arbeit finden. Denn warum sollte ein Zuwanderer unter sonst gleichen Bedingungen der inländischen Arbeitskraft, die in der Regel keine Sprach-schwierigkeiten oder sonstige Anpassungsprobleme hat, vorgezogen werden? Finden die Zuwanderer keine Ar-beit, beanspruchen sie Leistungen der sozialen Sicherungs-systeme. Das aber wird keine Gesellschaft in größerem Umfang tolerieren. Denn den Mindestlebensstandard, den eine reiche Gesellschaft durch soziale Sicherungssysteme für ihre Mitglieder zu garantieren versucht, um den sozia-len Frieden und den Zusammenhalt zu sichern, kann sie nicht für den Rest der Welt oder auch nur einen spürbaren Tgil davon zur Verfügung stellen. Wäre sie bereit dazu,

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könnte sie jedenfalls ihre Solidarität viel effektiver über eine massive Erhöhung der Entwicklungshilfe unter Be-weis stellen. Was aber geschieht, wenn die Zuwanderer bei Arbeits-losigkeit im Hochlohnland bereit sind, dort zu einem we-sentlich geringeren Lohn als die heimischen Arbeitskräfte zu arbeiten, und das Gastland bereit ist, das zu tolerieren? Die Zuwanderer erhöhen ja durch diese Bereitschaft die Wahrscheinlichkeit, im Gastland Arbeit zu erhalten. Dass sie sich trotz des niedrigeren Lohnes oft besserstellen als in ihrem Herkunftsland, ist sicher ein zentrales Motiv für die Wanderung) Und welcher inländische Unternehmer wollte diese Gewinnchance (bei gleicher Qualifikation der Arbeitskräfte und unter Vernachlässigung sonstiger Anpassungsschwierigkeiten) nicht nutzen, um seinen hoch effizienten Kapitalstock mit nicht der Arbeitsproduktivi-tät entsprechenden niedrigen Löhnen (diesmal im Inland statt im Niedriglohnland) zu kombinieren? Durch die Außerkraftsetzung des Bestimmungsland-prinzips und die Einführung eines Herkunftslandprin-zips verdrängen die Zuwanderer einheimische Arbeits-kräfte. Diese werden entweder arbeitslos und müssen über die sozialen Sicherungssysteme finanziert werden —ein für die Gesellschaft kaum akzeptabler und auf Dauer nicht finanzierbarer Zustand —, oder sie passen ihre Löhne nach unten an. Gerät auf diesem Weg das Lohnniveau des Hochlohnlandes insgesamt ins Rutschen, treten alle oben

1Dass diese Rechnung nicht immer aufgehen muss, weil etwa die Lebenshaltungskosten unterschätzt werden, der Wohnraum knapp und entsprechend teuer ist oder die soziale Integration nicht funktionert, steht auf einem anderen Blatt.

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bereits beschriebenen negativen Folgen ein: Nachfra-geausfall im Inland sowie sinkende Gewinne der Unter-nehmen und verschenkte Wachstums- und Wohlstands-möglichkeiten, verstärkter Verdrängungswettbewerb auf den Weltmärkten und/oder Aufwertung der heimischen Währung. Das heißt, dass auch die Herkunftsländer der Zuwande-rer durch die von ihnen ausgelöste Lohnsenkung geschä-digt werden. Zwar wird ihr Arbeitsmarkt möglicherwei-se unmittelbar entlastet,' aber durch die Wanderung wird kein zusätzlicher Kapitalstock im Niedriglohnland auf-gebaut, wie das im Fall der Kapitalwanderung geschieht. Die zurückbleibende Bevölkerung profitiert nicht von den Abwandernden, das durchschnittliche Produktivi-tätsniveau steigt nicht und damit auch nicht das durch-schnittliche Lohnniveau: Es findet kein Aufholprozess statt. Vielmehr sehen sich die Anbieter aus dem Niedrig-lohnland noch wettbewerbsfähigeren Anbietern auf dem Weltmarkt gegenüber; denn die Lohnsenkung im Hoch-lohnland schafft Raum für Weltmarktanteilsgewinne der dortigen Unternehmer mittels Preissenkung. Zwar wird eine Aufwertung der Währung des Hochlohnlandes am Ende diesen Gewinn wieder zunichtemachen, aber die Folgeschäden sind in der Regel enorm. Zudem reißt das. Lohndumping all die Länder mit in die Abwärtsspirale, die mit dem Hochlohnland zusammen Mitglied einer

1Wenn jedoch gerade die fähigsten und flexibelsten Arbeitskräfte die Wanderungswilligen sind, ist die Abwanderung eher als ein »brain drain« für das Niedriglohnland anzusehen und insofern ebenfalls ein Schaden.

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Währungsunion sind oder aus sonstigen Gründen ihren WechIelkurs fixieren. Nur die konsequente Anwendung des Bestimmungs-landprinzips auch bei hoher Arbeitslosigkeit im Hoch-lohnland kann diesen alle Handelsteilnehmer schädi-genden Teufelskreis verhindern. Das bedeutet, dass in Deutschland kein ungebremster Strom von Zuwanderern verkraftet werden kann und — im ureigenen Interesse der uns umgebenden Niedriglohnländer — auch nicht ver-kraftet werden darf. Für jede einzelne Nation, jede sich kulturell zusammengehörig fühlende Gesellschaft oder jeden geografischen Raum der gleichen Entwicklungs-stufe, das heißt ähnlicher Kapitalausstattung, muss ganz strikt das »law of one price« gelten, der Grundsatz des gleichen Lohns für gleiche Arbeit also. Wird dieser Grundsatz durchlöchert, werden Mittel zur Behebung der Krise empfohlen, die eine Abwärts-spirale in Gang setzen: Lohnsenkungen schwächen die Binnennachfrage, lassen dadurch die Gewinne und mit ihnen die Investitionsbereitschaft im Inland sinken. Das stärkt zwar vorübergehend die Exporte, aber nie in dem Maße, wie es zur Kompensation des inländischen Nach-frageausfalls notwendig wäre. Zugleich ist der Staat über-fordert, die Funktion der Sicherungssysteme zu gewähr-leisten, die ja in der Tat nicht für dauerhaftes Versagen der Wirtschaftspolitik geschaffen wurden, sondern zur temporären Abfederung des intertemporalen wie des in-ternationalen Strukturwandels. Die falsche Analyse findet hier sofort den nächsten Schuldigen für die Misere: Der Staat insgesamt, sagt der Neoliberalismus, müsse radikal in seine Schranken gewie-sen werden, wolle man die Herausforderung der globali-

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sierten Märkte meistern. Wen wundert es da noch, dass die Bevölkerung sich zunehmend vor der Globalisierung fürchtet und Fremdenfeindlichkeit auf dem Vormarsch ist? Wer die gesamte Gesellschaft in ihren Grundfesten in-frage stellt, sollte sich nicht nur über die wirtschaftlichen, sondern auch über die politischen Folgen seiner Ratschlä-ge im Klaren sein.

Digitalisierung als Bedrohung?

Der Roboter als Jobkiller?

Ein neues altes Thema macht rasend schnell die Runde. Automation, die Verdrängung des Menschen durch Robo-ter, wird als große Gefahr an die Wand gemalt und die uralte Konfusion »on machinery«, wie der englische Öko-nom David Ricardo es vor 200 Jahren genannt hatte, feiert fröhliche Urstände. Der Punkt, um den es geht, ist allerdings so einfach, dass man sich fragt, wie es sein kann, dass die Menschheit ihn nicht begreift. In dem Buch Das Ende der Massenar-beitslosigkeit haben Friederike Spiecker und Heiner Flass-beck den Zusammenhang so beschrieben:

Ist es nicht eindeutig? Arbeitslosigkeit ist ein unabwendbares Schick-sal: Was gestern noch mehrere Arbeiter am Fließband bewerkstellig-ten, erledigt heute ein Roboter. Wo gestern Arbeiterinnen die fer-tig produzierte Ware wenigstens noch verpacken und beschriften mussten, packt und adressiert heute eine von Computern gesteuerte Verpackungsmaschine. Immer mehr Menschen verlieren ihren Ar-beitsplatz und finden — möglicherweise trotz mehrfacher Umschu-lung — keine neue Verdienstmöglichkeit und werden zu (Langzeit-) Arbeitslosen. Machen wir uns nicht durch den zunehmenden Ein-

87 II. Der demokratische Staat und die Gesamtwirtschaft

Im vorangegangenen Teil haben wir argumentiert, dass der politische und der Wirtschaftsliberalismus sich wech-selseitig argumentativ stützen, ihre politischen Empfeh-lungen jedoch sowohl auf einem falschen Bild des autono-men Individuums als auch auf einem falschen Bild der Marktwirtschaft aufbauen. Deutlich ist geworden, dass das liberale Weltbild es nicht zulässt, die Rolle des Staates für die Funktionsfähigkeit der Gesamtwirtschaft im In-teresse des Gemeinwohls in angemessener Weise festzule-gen. Das Ausblenden der gesamtwirtschaftlichen Dimen-sion macht den Liberalismus von vorneherein blind für die absolut unvermeidbare Frage, wer die Rolle des Sys-temoperators der Marktwirtschaft wahrnehmen soll. Die-se Rolle genau zu bestimmen, ist von zentraler Bedeutung in einem System, in dem gesamtwirtschaftliche Zusam-menhänge wirksam sind, die von einzelwirtschaftlich aus-gerichteten Akteuren noch nicht einmal wahrgenommen werden. Offensichtlich ist das bei der Zurverfügungstellung von Geld, bei der es sich, wie zu zeigen sein wird, um eine ge-nuin staatliche Aufgabe handelt. Gleichermaßen gilt das für die Regelung der internationalen Währungsbeziehun-gen und der orientierungslosen Finanzmärkte. Aber es gilt auch für den Arbeitsmarkt, wo einzelwirtschaftlich rationale Handlungen zu gesamtwirtschaftlich negativen

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Wir benötigen daher eine neue Ökonomik, die dem Staat auf der Basis einer vorurteilsfreien Diagnose die um-fassende Rolle zuweist, die der Liberalismus so vehement bekämpft. Moderne Politikkonzepte dürfen nicht auf ei-ner naiven Marktgläubigkeit aufgebaut sein, sondern müs-sen in den konkreten und empirisch bestätigten Abläufen einer vom Zusammenspiel von Markt und Staat geprägten Weltwirtschaft ihren Ursprung haben. Mit dem Begriff »Staat« sind dabei natürlich die heuti-gen Nationalstaaten gemeint. Es gibt einfach keine andere Ebene der Politik, von der man erwarten kann, dass sie die Voraussetzungen schafft für eine erfolgreiche und geord-nete internationale Kooperation, die an die Stelle der ge-scheiterten ungeordneten Globalisierung treten könnte. Und es ist genau diese Stelle, an der die Makroökonomik das Feld betritt und Regeln für das Denken und Handeln vorgibt, die sich fundamental von denen unterscheiden, die auf der Ebene des einzelnen privaten Haushalts, des einzelnen Unternehmens oder einer einzelnen Kommune angemessen sind. Viele den Doktrinen des politischen Liberalismus zu-geneigte Zeitgenossen träumen von einer totalen Dezent-ralisierung, in der es gerade keine verbindlichen staat-lichen Vorschriften mehr gibt. Sie verstehen leider meist nicht, dass komplexe Gesellschaften staatliche Institutio-nen brauchen, die sicherstellen, dass zumindest minimale Standards ökonomischer Effizienz und einer gerechten Verteilung materieller Güter erfüllt werden. Organisatio-nen, die diese Funktion übernehmen, müssen sich, wie wir an vielen Beispielen zeigen werden, aus logischen Grün

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scheidungsebene angesiedelt werden. Das einzige System, das sich Menschen bislang ausgedacht haben, das diesen Anforderungen genügt und das weitgehende Akzeptanz findet, ist die Demokratie in einem abgegrenzten geogra-fischen Raum. Die Rede ist also vom demokratisch organisierten Na-tionalstaat. Welchen Namen man einem solchen System gibt, ist prinzipiell nur von geringer Bedeutung. Es ist jedoch leicht nachvollziehbar, dass sich angesichts der schlimmen historischen Erfahrungen mit der »Nation«, mit Xenophobie und Rassenwahn, die fast immer auf der Ebene des Nationalstaats ihren Ursprung hatten, viele Menschen scheuen, die Begriffe »Nationalstaat« oder »Na-tion« weiterhin zu benutzen. Schnell vermutet man bei de-nen, die ihn verwenden, sie könnten eine verdeckte, von einer nationalistischen Ideologie geleitete Agenda verfol-gen. Nichts liegt uns ferner. Solange aber kein Weltstaat exis-tiert — und der ist mindestens so weit von seiner Realisie-rung entfernt wie eine totale dezentralisierte Organisa-tion des Gemeinwesens —, muss es zwischen beiden eine Ebene geben, auf der die Entscheidungen getroffen wer-den, die nicht einem einzelwirtschaftlichen Interesse ent-springen, sondern der Einsicht, dass ein arbeitsteiliges Wirtschaftssystem nur dann funktionieren kann, wenn ge-samtwirtschaftliche, also nur für eine regionale Einheit existierende Zusammenhänge bei der Entscheidungsfin-dung angemessen berücksichtigt werden. Das ist nach derzeitigem Kenntnisstand die Ebene des Nationalstaates. Und das gilt auch für Europa, weil mit 90den Gründen nicht gut) selbst in der Europäischen Union die entscheidenden Weichen auf der Ebene des National-staates gestellt werden.

90 Geld, Kapital und Arbeit

Geld als staatliche Institution

Geld — und damit meinen wir Zeichengeld in Form von Giralguthaben, Banknoten und Münzen — ist unzweifel-haft eine staatliche Institution bzw. das Ergebnis der Ent-scheidung staatlicher Institutionen, die sich auf einen klar umgrenzten geografischen Raum beziehen. Das gilt auch für Zusammenschlüsse wie die Europäi-sche Währungsunion. Die Europäische Zentralbank ist die Zentralbank jedes einzelnen Mitgliedsstaates und hat sich, bei angemessener Interpretation ihrer Rolle in der Wirtschaftspolitik, auch genau so zu verhalten, als sei sie eine nationale Zentralbank, wenn eines der Mitglieder in Schwierigkeiten gerät. Dass die EZB in den Anfangsjah-ren der Eurokrise in eklatanter Weise ihren Verpflichtun-gen nicht nachgekommen ist, steht dabei auf einem ande-ren Blatt. Nationales oder supranationales Zeichengeld, das von einer dafür geschaffenen staatlichen Institution, der Zen-tralbank, ausgegeben wird, schafft einerseits einzigartig günstige Bedingungen für die wirtschaftliche Entwick-lung, andererseits aber auch die Verpflichtung der Zentral-bank, die Nutzbarkeit des von ihr geschaffenen Geldes zu verteidigen.

 

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Eine neue internationale Finanzarchitektur

Nicht anders, als es innerhalb der Grenzen der bestehen-den Nationalstaaten nationale Regeln für den Tausch gibt, muss es globale Regeln für den globalen Tausch geben. Diese können nicht von den einzelnen Staaten gesetzt wer-den, sondern nur von der internationalen Staatengemein-schaft. Genau wie sie bei der Liberalisierung eine drängen-de und führende Rolle übernommen haben,

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müssen die im Kern nur Bestand haben, wenn es allen beteiligten Na-tionen gelingt, die interne Kostenentwicklung und die In-flationsraten in Grenzen zu halten, die alle Mitglieder zu akzeptieren bereit sind. Sollen Güter und Kapital sich weltweit frei bewegen, müssen aber auch nachhaltige Lö-sungen für eine Währungsordnung zwischen Regionen gefunden werden, in denen es aus den verschiedensten Grün-den nicht gelingt, rasch zu einer Konvergenz der Kosten-und Inflationsentwicklung zu gelangen. Starke, über den Ausgleich der Inflationsdifferenzen hin-ausgehende Schwankungen der Wechselkurse bringen eben-solche Verzerrungen in der Allokation von Ressourcen und bei Investitionsentscheidungen mit sich wie Schwan-kungen des internen Wertes einer Währung, also ihrer Kauf-kraft. Wechselkursänderungen sollten nur noch notwendig sein, um Differenzen bei den Inflationsraten auszuglei-chen. Daraus ergibt sich als Leitlinie einer neuen Welt-währungsordnung, dass die Wechselkurse fest genug sein müssen, um rationale wirtschaftliche Entscheidungen zu erlauben, gleichzeitig aber auch flexibel genug um die in -ternationale Wettbewerbsfähigkeit aller ten. Um ein solches System

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bauen zu können, muss die internationale Zusammenar-beit auf diesem Gebiet erheblich verstärkt werden. Das gilt zum einen für die großen Industrienationen. Das gilt aber auch für das Verhältnis der großen zu den kleineren Volkswirtschaften. Angesichts der fortschreitenden Glo-balisierung, der immer stärkeren Integration der Welt-wirtschaft, können kleinere Nationen - unabhängig vom Währungssystem - immer weniger eine eigenständige Wirtschaftspolitik betreiben. Wollen sie ihre Güter- und Kapitalmärkte offenhalten, müssen sie zur Vermeidung exzessiver Wechselkursschwankungen in ein globales Sys-tem der Überwachung und der Zusammenarbeit einbezo-gen werden.

Um ein neues Weltwährungssystem erfolgreich zu ma-chen, braucht die internationale Gemeinschaft effektiv ar-beitende Institutionen. Die beiden Bretton-Woods-In-stitutionen (der Internationale Währungsfonds und die' Weltbank) haben in den vergangenen Jahrzehnten ihre Aufgabenverteilung und ihre Rolle den sich wandelnden Bedingungen der Weltwirtschaft angepasst. Die Aufga-ben beider Institutionen müssen in einer neuen globalen Finanzarchitektur jedoch ebenfalls neu definiert werden.

Für den IWF bedeutete das eine Rückbesinnung auf sei-ne ursprüngliche Rolle im System von Bretton Woods. Er müsste dann erneut vor allem die kurzfristige Überwa-chung der Funktionsweise des Währungssystems und die makroökonomische Beratung der Teilnehmer überneh-men. Dazu gehört beispielsweise der Aufbau und die Handhabung eines Frühwarnsystems, das die Gefahr des Entstehens gravierender außenwirtschaftlicher Ungleich-gewichte erkennt, die betroffenen Länder warnt und die übrigen Teilnehmer informiert. Auch die Organisationen

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und Durchführung kurzfristiger Stützungsmaßnahmen für Länder, die sich einer krisenhaften Zuspitzung ihrer finanziellen Situation gegenübersehen, fiele wie bisher in den Aufgabenbereich des IWF. Einer anderen Institution, etwa der Bank für Internatio-nalen Zahlungsausgleich in Basel, müsste in einem sol-chen Arrangement die Rolle zukommen, weit mehr als bisher Systemrisiken in der gesamten finanziellen Sphäre zu analysieren und frühzeitig Gegenmaßnahmen zu emp-fehlen. Nicht anders, als es im nationalen Rahmen selbst-verständlich ist, kommt man auf globalisierten Märkten nicht umhin, Regeln für die Übernahme von Risiken auf-zustellen und Informationspflichten einzuführen, also eine Kreditaufsicht im weitesten Sinne zu installieren. Da-zu bedarf es eines multilateralen Abkommens. Allerdings dürfen sich die Regulierungen in diesem Bereich nicht auf ein Abkommen der Staaten beschränken. Der Privatsek-tor, also alle, die die Chancen des weltweiten Finanzmark-tes nutzen wollen, muss in die Abdeckung von Risiken in einem spürbaren Ausmaß einbezogen werden, wie wir das oben geschildert haben. Häufig wird befürchtet, das Entstehen einer neuen Weltwährungsordnung und einer globalen Finanzarchi-tektur werde zu einem Verlust an nationaler Souveränität führen. Die weltweite Krise aber zeigt, dass es eine Souve-ränität im Sinne einer effektiven Abkoppelung von diesen Ereignissen nicht geben kann. Alle Nationen der Welt sind in der einen oder anderen Weise betroffen. Die Erfah-rungen mit den verschiedensten Währungssystemen nach dem Zweiten Weltkrieg haben zudem deutlich gemacht, dass keine der zur Anwendung gekommenen Währungs-ordnungen eine effektive Abkoppelung

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erlaubt hat. Der teilweise Verlust an nationale'r Souveränität ist unmittelbar das Ergebnis der Öffnung kipr Güter- und Kapitalmärkte, nicht Folge einer ungeeigneten Währungsordnung. Zu in-ternationaler Kooperation bei der Wechselkurspolitik gibt es folglich keine Alternative, wenn effektiver Handel er-möglicht werden soll.

 

Klimawandel und Umweltschutz

Klima- und Umweltschutz sind die beiden großen Her-ausforderungen, die auch dann bestehen bleiben, wenn es gelingt, die wirtschaftlichen Probleme weitgehend zu lösen. Doch auch hier stehen der Menschheit viele ökono-mische Vorurteile im Weg. Ganz gleich, ob man den Kli-mawandel für das entscheidende Problem hält oder die Übernutzung der Ressourcen, immer kommt es darauf an, auf welche Weise man Verhaltensänderungen im glo-balen System der Marktwirtschaft erreichen will. Ohne eine realistische Theorie wirtschaftlicher Dyna-mik kommt man auch hier nicht weit, und genau daran scheitern bisher die Versuche, einen wirksamen Schutz der natürlichen Voraussetzungen für menschliches Leben auf dem Planeten Erde zu gewährleisten.

Klimawandel und die Dynamik der Marktwirtschaft

Beim Umwelt- und Klimaschutz entscheidet der jeweils nationale Stand der Lebensbedingungen über den konkret einzuschlagenden Weg der Politik. Auch hier gibt es eine ex-treme Pfadabhängigkeit, der sich kein Land entziehen kann.

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Wer in der Vergangenheit (wie beispielsweise die Schweiz) zur Stromerzeugung auf Wasserkraft gesetzt hat, wird ganz anders mit der Klimaherausforderung umgehen als Deutschland, wo Braunkohle der wichtigste fossile Ener-gieträger war. Frankreich mit seinem Schwerpunkt auf Atomenergie hat noch einmal ganz andere Voraussetzun-gen. Unbestreitbar ist dennoch, dass die Verhinderung oder Eindämmung des Klimawandels eine globale Herausfor-derung darstellt. Deswegen kann es ganz unabhängig von den gerade genannten unterschiedlichen Voraussetzungen nur dann effiziente Strategien zur Verringerung der Nut-zung fossiler Energieträger geben, wenn zumindest die wichtigsten Länder sich auf eine solche Strategie einigen. Aus ökonomischer Sicht kann man entscheidende Hil-festellung bei der Antwort auf ökologische Herausforde-rungen geben, weil hier die zunehmende Knappheit na-rarlicher Ressourcen im Mittelpunkt steht. Die Analyse bvnnt mit klassischer Mikroökonomik: Im ersten Schritt geht es nämlich um die Frage, wie viel einer gegebenen Güterausstattung die Menschen zu opfern bereit wenn sie mehr Ressourcen einsetzen müssen, um gesunde Umwelt zu sorgen, um also beispielsweise Schäden zu beseitigen, die durch die Produktion von Konsumgütern entstanden sind, oder um Vorsorge zu treffen, dass bei der Produktion in der Zukunft weniger Schadstoffe eintweichen können. Man muss also Kosten (den Verzicht auf herkömmlicher Konsumgüter) abwägen gegen den Nutzen, den die Verhinderung von Umweltschäden schafft. Im zweiten Schritt muss man die Frage beantworten, was das auf gesamtwirtschaftlicher Ebene bedeutet.

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Umweltschutz als Präferenz

Das wichtigste und von den Ökonomen heftig diskutierte Problem liegt bei dieser Ausgangskonstellation darin, dass das normale Wirtschaftssubjekt keinen unmittelba-ren Nutzen davon hat, wenn der Ausstoß schädlicher Stof-fe bei der Produktion verringert wird, weil er oder sie viel-leicht gar nicht in der Nähe einer entsprechenden Anlage wohnt. Dazu kommt, dass er oder sie nicht weiß, ob Wirt-schaftssubjekte in anderen Regionen oder Ländern ihr Verhalten ebenfalls ändern, so dass mit einem signifikan-ten Gesamteffekt der Umweltmaßnahme zu rechnen ist. Anders herum: Wenn bei der Produktion eines bestimm-ten Gutes negative Umwelteffekte auftreten, kann man nicht ohne Weiteres zurechnen, wer durch die Nachfrage nach diesem Gut diesen Effekt verursacht hat, so dass der Gesamteffekt in keiner individuellen Kosten-Nutzen-Über-legung auftaucht. Man hat, so nennen das die Ökonomen, externe Effekte produziert, die zwar der Gesellschaft scha-den, für die aber niemand individuell in Haftung zu neh-men ist.

Um ein einfaches Beispiel zu geben: Bei der Verbren-nung von Kraftstoffen in Automobilen entstehen schäd-liche Abgase, die nicht den Fahrer des Autos direkt schä-diger- sondern den. der hinter ihm fährt, und außerdem die Gesellschaft insgesamt. Also hat kein Fahrer ein Inte-resse daran, sein Auto sauberer zu machen, solange er nicht sicher sein kann, dass alle anderen das auch tun. Folglich muss der Staat eingreifen und alle zwingen, etwas gegen die schädlichen Abgase zu tun. Um den negativen exter-nen Effekt zu verhindern, kann der Staat zum Beispiel Vorschriften erlassen, die Autofahren generell teurer ma-

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chen, oder er kann technische Vorgaben durchsetzen, um den Schadstoffausstoß zu verringern. Er kann aber auch versuchen, die externen Effekte un-mittelbar durch Vorschriften zu internalisieren, sie also für den Einzelnen spürbar zu machen, ohne dass der Staat eine andere Technik vorschreibt. Ein Beispiel dafür wäre die extrem einfache Vorschrift, alle Abgase, die ein Auto-mobil produziert, zunächst durch das Wageninnere zu lei-ten. Das klingt radikal, ist aber im Zeitablauf vermutlich die beste Lösung. Es besteht unseres Erachtens kein Zwei-fel, dass wir, wäre diese Vorschrift vor hundert Jahren von den Staaten der Welt durchgesetzt worden, heute genauso viel Autofahren würden, wie wir es derzeit tun. Allerdings würden wir dann vermutlich wasserstoffbetriebene Auto-mobile fahren, auf jeden Fall aber hätten wir einen großen Teil des Öls in der Erde gelassen und viel weniger Klima-gase produziert. Dieses Beispiel zeigt, dass die mikroökonomische Fra-gestellung prinzipiell nicht weit, ja zumeist sogar in die Ir-re führt. Denn die klassische Entscheidungssituation, die von ihr unterstellt wird, existiert in der Realität praktisch nicht. Das liegt daran, dass die Informationen, die man bräuchte, um die Mehrheit der Menschen vor eine einf a-che Entscheidungssituation der Art »Was wollt ihr? Mehr Umweltschutz oder mehr Güter ?« zu stellen, gar nicht verfügbar sind. Das beginnt damit, dass es keine »gegebe-ne Güterausstattung« gibt. Wir bewegen uns ja in einem dynamischen System, in dem die Güterausstattung durch den Erfindungsgeist der Menschen permanent vergrößert und in ihrer Struktur dramatisch verändert wird. Die Menschen kennen auch ihre Präferenzen nicht wirklich, weil sie für die Güter, die neu erfunden

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werden, erst in der Zukunft Präferenzen entwickeln werden. Hinzu kommt, dass durch den technischen Fortschritt die Möglichkeit, Umweltschutz umzusetzen, ebenfalls dauernd verändert wird. Auf viele Jahre hinaus kann daher niemand vorhersagen, wie sich die Entscheidung zwischen normalen Gütern und Umweltgütern darstellen und ob sie überhaupt noch relevant sein wird. Nehmen wir noch einmal das obige Beispiel: Ist die Wasserstofftechnik für das Auto erst ein-mal eingeführt, weil sie am besten mit der genannten Vor-schrift, dass die Abgase durch die Kabine geleitet werden müssen, in Einklang zu bringen ist, ist es für die nächsten hundert Jahre vollkommen irrelevant, wie teuer die Ein-führung war und wie viele normale Güter deswegen nicht verbraucht wurden, wie viel entgangenen Nutzen die Menschheit also hat »erleiden« müssen, weil sie schon früh auf eine »teure« Technik gesetzt hat. Der Gedanke, dass Umweltschäden regelmäßig durch externe Effekte bei der Abarbeitung der »normalen« Prä-ferenzen der Menschen durch das Marktsystem auftreten und vom Staat auf die eine oder andere Art internalisiert werden müssen, wird aber dann vollends unscharf, wenn Umweltschutz zu einem Teil der Präferenzen der Men-schen wird. Wenn also, bei hoher Ausstattung mit her-kömmlichen Gütern, den Menschen bewusst wird, dass sie die natürliche Umwelt vernachlässigt, haben und hier ein großer Nachholbedarf bzw. ein Vorsorgebedarf be-steht, ist der Wunsch nach einer Beseitigung vier bereits angefallenen Schäden und/oder der Verhinderung neuer Schäden unmittelbar vorhanden und konkurriert auf der Mikroebene mit den normalen Präferenzen. In diesem Fall braucht man Unternehmer, die diese Prä-

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ferenzen aufgreifen und umsetzen. Da sich diese Präferen-zen aber nicht unbedingt in einer konkreten Nachfrage nach besseren Produkten äußern, sondern eher in der ab-strakten Bereitschaft, für mehr Umweltschutz zu zahlen, muss der Staat der Unternehmer für den Umweltschutz sein und diese Präferenzen bedienen. Indem er es den Un-ternehmen in der ein oder anderen Weise generell auferlegt, bestimmte Vorkehrungen zu treffen (etwa Katalysatoren, Filter oder andere Abgasvorrichtungen in Automobile ein-zubauen), erfüllt er die Präferenzen der Bürger nach einer besseren Luftqualität und zwingt sie gleichzeitig, dafür zu zahlen. Dieser Zwang resultiert aber nur aus der Tatsache, dass es ohne ihn viele Trittbrettfahrer gäbe, die sich darauf verlassen würden, dass die »anderen« schon ausreichend viel tun werden, so dass sie selbst sich der Zahlung entzie-hen können. Ganz anders, als die Marktapologeten uns glauben machen wollen, bedeutet staatlicher Zwang näm-lich gerade nicht, dass man den Menschen etwas aufzwingt, das sie eigentlich partout nicht haben wollen, sondern dass der Staat wie ein Unternehmer Überzeugungsarbeit leistet, um seine Produkte absetzen zu können. Der Zwang bedeutet a priori nicht, dass der Staat den Menschen etwas aufzwingt, was sie partout nicht haben wollen und was wegen dieses Zwanges etwas dem Markt im weitesten Sin-ne Fremdes ist. Aber selbst wenn es so wäre, dass der Staat allein aus sei-ner besserer Einsicht heraus handelt und den Bürgern et-was aufzwingt (er schafft »meritorische Güter«, sagte man früher), was sie so nicht unmittelbar haben wollen, was aber doch, nach der Einschätzung einer demokratisch ge-wählten Staatsführung, ihrem Wohl dient, kann man als Ökonom nicht einfach sagen, das ist etwas dem Markt

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Fremdes, das muss ich sozusagen abziehen bei der Berech-nung des Wohlstandes. Die Anweisung des Staates etwa, dafür zu sorgen, dass Kinder eine Schule besuchen und nicht arbeiten dürfen, mag der Einzelne als Zwang emp-finden, dennoch wird die weit überwiegende Mehrheit der Bürger das heutzutage als selbstverständlich betrach-ten und wissen, wie sehr das dazu beiträgt, dass auf lange Sicht die Gesellschaft materiell und immateriell reicher wird. Wenn wir auf der Basis dieser Überlegungen die Vorsor-ge für den Umwelt- oder Klimaschutz in die Bedürfnisse und Präferenzen der Bürger und der Gesellschaft einrei-hen, erledigt sich eine ganze Klasse von Problemen, die von der herrschenden Ökonomie mit dem Umweltschutz verbunden wird; das gilt insbesondere für das Problem, das man üblicherweise mit der Formel »die Kosten des Umweltschutzes« umschreibt.

Kosten und Arbeitsplätze

Was sind die berühmten Kosten, die regelmäßig von der Wirtschaft angeführt werden, wenn es um Umweltschutz geht? Würde zum Beispiel Volkswagen genau wie alle an-deren Hersteller zur Einhaltung der Abgasgrenzwerte eine Technologie einbauen, die teurer wäre als die derzeitige, wo wäre das Problem? Die zusätzlichen Kosten müssten von den Verbrauchern aufgebracht werden, falls dadurch das Fahrzeug insgesamt teurer würde, und die zusätz-lichen Kosten bedeuteten zusätzliche Erträge für die Her-steller der Teile, die nun zusätzlich eingebaut würden. Die Verbraucher würden vielleicht insgesamt mehr für das Auto

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bezahlen und dafür, bei gegebenem Einkommen, wo-anders beim Konsum sparen.. Die Automobilhersteller könnten aber auch auf den Einbau irgendwelcher Zierteile verzichten und damit die nun höheren Umweltkosten aus-, gleichen. Gesamtwirtschaftlich geseh n. ist das Ergebnis immer gleich: Es entstehen zusätzliche Einkommen und Arbeits-plätze bei den Herstellein der Abgasvorrichtungen, und es wird weniger verdient (werden Arbeitsplätze abgebaut), wo die Kunden oder die die Einsparung vornehmen, also bei den Zierteilen zum Beispiel. Das ist kein Problem, sondern das sind ganz normale Impulse in Richtung Strukturwandel, wie sie jeden Tag millionen-fach durch rein private Dispositionen gegeben werden. Die Politik muss sich darüber überhaupt keine Gedanken machen. Wenn sich die Politik allerdings den einzelwirtschaft-lichen Schuh eines einzelnen Automobilproduzenten oder auch der Branche insgesamt anzieht, dann gerät sie in die Bredouille. Sobald sie auf deren Argumente eingeht, sitzt sie in der Falle, weil sie zugeben muss, die Situation der Branche oder des Produzenten verschlechtert zu haben, denn durch die staatlichen Auflagen ist die Produktion teurer geworden. Man kann sich leicht vorstellen, dass bei einer solchen Sichtweise die Politik große Schwierig-keiten hat, den Produzenten, die mit Arbeitsplatzverlus-ten drohen, zu erklären, dass Umweltschutz wichtiger ist als einzelne Jobs. Da beginnt der Kuhhandel, auf den sich ein kompetenter Staat (also ein Staat, der ausschließ-lich in gesamtwirtschaftlichen Kategorien denkt) von vorneherein überhaupt nicht einlassen muss. Man sieht hier überdies sofort, warum die ganze auf der

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einzelwirtschaftlichen Ebene geführte Diskussion um den Konflikt zwischen Umweltschutz auf der einen Seite und Arbeitsplätzen oder Einkommen auf der anderen vollkom-men an der Sache vorbeigeht. Im alltäglichen Strukturwan-del, der uns von den privaten Produzenten aufgedrängt wird (über Werbung, unter anderem), fragen wir nie, ob die Ergebnisse auch für die Arbeitsplätze und das Ein-kommen positiv sind. Wenn ein neuer Tablet-Computer in großem Maße alte Desktops verdrängt, verschieben sich auch viele Arbeitsplätze und Einkommensmöglich-keiten. Niemand käme aber auf die Idee zu fragen, ob man diese Entwicklung nicht aufhalten oder wenigstens abschwächen sollte, damit nicht so viele einzelne Arbeits-plätze gefährdet werden. Nur wenn der Staat involviert ist, nimmt sich jeder einzelne Produzent (die großen zu-mal) heraus, genau diese Frage zu stellen. Natürlich wäre auch diese Konfusion nicht möglich, würden die Volkswirte wirklich Volkwirtschaft betreiben und nicht verkleidete Betriebswirtschaft. Tatsächlich muss man hier ein besonders trauriges Kapitel ökonomischer Konfusion aufgreifen. Die herrschende Ökonomie be-gann nämlich schon in den siebziger Jahren damit (Flass-beck & Maier-Rigaud 1982), aus dem »magischen Vier-eck«, also den normalen makroökonomischen Zielen (Preisstabilität, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, ho-her Beschäftigungsstand, angemessenes Wachstum), ein Fünfeck zu formen, bei dem auch der Umweltschutz eine eigene Ecke erhielt.

Das war und ist grandioser Unsinn, weil der Wunsch der Menschen (oder die von ihnen verstandene Notwen-digkeit einzugreifen, um die Umwelt zu schützen) nach sauberer Umwelt in die Reihe der (mikroökonomischen)

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Präferenzen gehört, aber nichts damit zu tun hat, wie das System makroökonomisch gesteuert wird und welche Er-gebnisse man mit der Makrosteuerung erzielt. Die Einordnung des Umweltschutzes in die Reihe der Präferenzen zeigt zugleich, dass die Euphorie viele An-hänger der grünen Bewegung, die davon sprechen, der Umweltschutz bringe »zwei Dividenden«, nämlich die Verbesserung der Umwelt und mehr Arbeitsplätze oder mehr Einkommen, genauso abwegig ist wie der oben an-gesprochene Konflikt. Umweltschutz ist bei dieser Betrach-tung ein ganz normales Gut, dessen Produktion aller-dings in der Regel vom Staat angeschoben werden muss. Die Produktion von mehr Umweltschutz in diesem Sinne steht weder im Konflikt mit den Arbeitsplätzen insgesamt, noch kann man sich davon besonders viele Arbeitsplätze erwarten. Eine angemessene Wirtschaftspolitik nimmt das zur Kenntnis und betreibt ihre Aufgabe ganz unab-hängig davon, wie viel (und auf welche Weise) Umwelt-schutz die anderen Bereiche der staatlichen Politik durch-setzen.

Der einzige Bereich, wo auch aufgeklärte Ökonomen oft glauben, eine Einschränkung von dieser Logik ma-chen zu müssen, ist die Frage der internationalen Wettbe-werbsfähigkeit. In der Tat, wenn ein Staat massive Um-weltauflagen macht und sein Handelspartner nicht, dann entsteht bei sonst gleichen Bedingungen ein einmaliges Kostengefälle, das den Staat begünstigen kann, der in Sa-chen Umweltschutz nichts unternimmt. Hier wirkt die Einreihung des Umweltschutzes in die normalen Präferenzen nicht mehr, weil es durchaus sein kann, dass die Wünsche der Menschen (oder die natürlichen Bedingungen) in dem anderen Land so sind, dass der Staat dort mit einer gewissen Berechtigung weniger Umweltschutz durchsetzt. Mit anderen Worten: Im Ver-hältnis dieser beiden Staaten kann man nicht einfach un-terstellen, dass die Produktion für den Umweltschutz überall so nachgefragt wird wie Produktion für ein nor-males Gut, denn die Präferenzen für mehr Umweltschutz gibt es ja nur in einem Land. Folglich sind das Kosten-(auch hier, wenn sonst alles gleich ist) und das Preisniveau der normalen (und vermutlich auch der meisten handelba-ren) Güter in dem Land mit hohen Auflagen höher. Ein einmaliges Gefälle, wenn es denn wirklich quantita-tiv bedeutend wäre, kann der Staat jedoch durch viele ver-schiedene Maßnahmen ausgleichen. Er kann durchaus auf Güter, die mit geringeren Auflagen produziert worden sind, permanent einen Zoll erheben, der den Kostenvor-teil wettmacht, er kann auch seinen eigenen Unternehmen einen Steuervorteil oder eine Subvention geben, die den Nachteil ausgleichen. Man muss aber generell bedenken, dass die absoluten Kostenniveaus in vielen Ländern ohne-hin durch staatliche Eingriffe massiv verzerrt sind. Die Steuersätze sind selbst in der Europäischen Union extrem unterschiedlich, ohne dass man vermutet, dass das zu sys-tematischen Verzerrungen des Wettbewerbs führt. Unter-schiedlichen Niveaus der Steuerbelastung steht ja häufig auch ein unterschiedliches Niveau der Ausstattung mit In-frastruktur durch den Staat gegenüber, die den Unterneh-men in dem Land mit höheren Steuern zugutekommt. Auch eine bessere Ausbildung der Arbeitskräfte gehört zu dieser Infrastruktur.

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Steuerung über die Preise, wie denn auch sonst

Im Bereich begrenzter Rohstoffvorkommen ist es offen-sichtlich, dass die Umweltfrage eine Sache der Knappheit und damit der Preise ist. Hier geht es darum, auf der gan-zen Welt die Menschen anzuhalten, mit diesen auf der Er-de einmaligen Bodenschätzen sorgsam umzugehen. Preis-effekte schaffen zudem unmittelbar Anreize dafür, dass die Menschen ihre Intelligenz und ihre Kreativität dafür einsetzen, etwas zu schaffen, was hilft, weit über den heu-tigen Stand der Technik hinaus fossile Energieträger ein-zusparen. Wenn es folglich gelänge, eine globale Preissteuerung durchzusetzen, die dafür sorgt, dass die Preise von Öl und Kohle im Vergleich stetig und auch im Verhältnis zu unse-ren Einkommen zunehmen, könnte man damit rechnen, dass wesentlich mehr Anstrengungen unternommen wür-den, diese Stoffe einzusparen und damit zu schonen, als es sich je aus den Vorgaben eines Staates (oder aller Staaten) ergeben könnte. Ein großes Potenzial an erneuerbarer Ener-gie wird ja gerade deshalb nicht genutzt, weil die fossilen Brennstoffe auch vierzig Jahre nach der ersten Ölpreiskri-se immer noch so günstig zu haben sind wie damals. Das erste Argument, das dagegen ins Feld geführt wird, ist offensichtlich. »Das kimtet ja was! «, werden viele sa-gen. Natürlich kostet das was ! Wie sollte es solch riesige Investitionen umsonst geben? Ein gesamtwirtschaftliches Problem ist das jedoch nicht, weil davon ja wieder be-stimmte Produzenten profitieren, während andere in Schwierigkeiten kommen. Der damit entstehende Struk-turwandel ist gewollt, aber der kostet immer etwas in dem Sinne, dass die Kunden mit ihrem Geld nicht mehr

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das Gleiche kaufen wie vorher. Folglich verlieren, wie unten gezeigt, zwar viele Produzenten von alten Produkten, aber viele neue Anbieter gewinnen. Dass die großen Ener-giekonzerne das nicht gut finden, ist klar, aber warum sollten sich Politiker darum scheren? Wer aus fossiler und atomarer Energie aussteigen will, muss also entweder die fossile und atomare Energie so stark verteuern, dass die erneuerbare Energie auf diese Wei-se wettbewerbsfähig wird (wiederum so, dass der relative Preis der fossilen Energie steigt), oder er muss die erneuer-bare Energie direkt subventionieren. Man kann auch die sogenannten neuen marktwirtschaftlichen Instrumente einsetzen und denjenigen belasten, der die Schadstoffe ausstößt, indem man ihn zwingt, Zertifikate zu kaufen, die ihm die Erlaubnis geben, eine bestimmte Menge an Schadstoffen auszustoßen. Wird dann die Menge der Zer-tifikate konsequent und stetig verringert, so dass der Preis der Zertifikate dauernd steigt, verändern sich ebenfalls die relativen Preise zugunsten erneuerbarer Energien. Weil sich die Politik bisher weder global an die Energiepreise noch an die neuen marktwirtschaftlichen Instrumente he-rantraute, hat man in Deutschland in den letzten zehn Jah-ren den Weg der Subvention gewählt. Die Bundesregierung hat die Attraktivität der fossilen Energie verringert (den relativen Preis fossiler Energie er, höht), indem sie den Aufbau erneuerbarer Energiequellen über garantierte Abnahmepreise subventioniert hat. Das kann man sehr gut rechtfertigen, denn ohne solche Sub ventionen gibt es die Energiewende nicht, weil ja nichts, dafür spricht, dass der Markt von sich aus das Öl früh ge-nug so teuer macht, dass die Wende rechtzeitig von allein käme. Solche Subventionen gibt es, nebenbei gemerkt, im-

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mer noch für die Atomwirtschaft, nämlich in Form der nicht durch den Strompreis •bgedeckten Kosten für End-lagerstätten und die Schadensbeseitigung bei den Zwi-schenlagern (Stichwort Asse, Gorleben usw.). Die Finan-zierung der Entschärfung dieser Zeitbomben kommt auf den Steuerzahler noch zu, denn die großen Konzerne ha-ben sich bislang erfolgreich darum gedrückt. Mit der starken Veränderung der relativen Preise hat Deutschland immerhin eine Energiewende hinbekom-men. Schneller, als es sich jemand hätte vorstellen können, vollzog sich die Umstellung von fossiler Stromerzeugung auf Stromerzeugung durch erneuerbare Quellen. Dieses Beispiel demonstriert eines sehr deutlich: Um bei der Energiewende voranzukommen, hilft die Flexibilität der Unternehmen ganz ungeheuer, obwohl der Prozess mit Marktwirtschaft nichts zu tun hat. Weil der Staat all de-nen, die in erneuerbare Energien investieren konnten, einen bestimmten Abnahmepreis für Strom garantierte, also eine feste Einspeisevergütung versprach, ließen sich ent-sprechende Investitionen gut rechnen. Folglich begann fast jeder, der Geld zum Investieren hatte oder es sich lei-hen konnte, zu überlegen, ob er nicht irgendwo ein großes Dach habe, das er mit Sonnenkollektoren bedecken könn-te, oder eine Wiese auf einem Hügel, auf die ein Windrad passt. So wurden im Handumdrehen Landwirte, Eigen-heimbesitzer oder Restaurantbetreiber zu Stromproduzenten.

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Verteilungswirkungen ausgleichen

Damit zeigt sich, wie ungeheuer flexibel die Unterneh-men sein können. Sie könnten auch solche globalen Her-ausforderungen wie den Klimawandel leicht bewältigen. Wir müssten nur beginnen zu begreifen, wie die Markt-wirtschaft funktioniert, und wir dürften nicht vor der Lobbymacht einzelner großer »Player« einknicken und uns nicht von den ideologischen Barrieren (»der Staat darf auf keinen Fall langfristig in die Preisbildung eingreifen«) irremachen lassen. Das deutsche Beispiel belegt die Wirkung eines Preises, der für ein zu förderndes Produkt für ausreichend lange Zeit ausreichend stabil ist. Gibt es zudem noch vernünfti-ge Finanzierungsbedingungen, investieren selbst solche Menschen in die Umwelt und die Zukunft, die bisher kei-ne Unternehmer waren und sich einen Teufel um die Um-welt und zukünftige Generationen geschert haben. Trotz-dem geht das nicht ohne den Staat oder die Staaten. Wer bei Gütern von allgemeinem Interesse (öffentlichen Gü-tern) wie dem Klimawandel auf den Markt wartet, wartet bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. »Aber der arme Stromkunde und insbesondere die Ar-men! «, stöhnten da in Deutschland ganz schnell einige, denen die Armen und die Einkommensverhältnisse der Menschen sonst vollkommen egal sind. In der Tat, man kann nicht bestreiten, dass solche marktwirtschaftlichen Instrumente diejenigen am unteren Ende der Einkommens-skala wesentlich stärker belasten als die am oberen Ende. Das gilt vor allem dann, wenn man in Rechnung stellt, dass am oberen Ende weit mehr Energie verbraucht wird.

Hier muss man sich jedoch fragen, was man wirklich will.

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Von vielen anderen Beispielen weiß man: Subjektförderung ist effektiver als Objektförderung. Das heißt, es ist ,n der Regel besser, die weniger begüterten Menschen di-rekt materiell zu fördern, als die Preisbildung, die man hier braucht, zu unterlassen. Tut die Politik das, muss das System nicht darauf verzichten, den Entdeckergeist vieler Menschen zu wecken, was nur mit einer Preissteuerung möglich ist. Es ist vollkommen richtig, darauf zu behar-ren, dass die Ärmeren im Verhältnis zu ihrem Einkom-men nicht stärker belastet werden. Das gilt sowohl für är-mere Länder wie für ärmere Menschen. Folglich muss man sie finanziell so stellen, dass sie in der Lage sind, stei-gende Energiepreise zu bezahlen. Um es simpel auszudrü-cken: Jeder Hartz-IV-Empfänger soll selbst entscheiden können, ob er ein höheres Transfereinkommen für höhere Heizungskosten ausgeben oder sich lieber durch verän-derte Verhaltensweisen am Energiesparen aktiv beteiligen will, um das zusätzliche Geld für andere Konsumgüter zu verwenden.

Man muss folglich Hartz IV kräftig aufstocken, die Steuern für Geringverdiener senken, flächendeckende und steigende Mindestlöhne einführen oder die Beiträge zur Sozialversicherung für Geringverdiener systematisch ver-billigen, wenn man die energiepolitische Wende wirklich will. Wer das ablehnt, macht sich vollkommen unglaub-würdig. Selbst diejenigen, die glauben, dass man Anreize zur Arbeitsaufnahme durch Hartz IV — nämlich mittels eines gehörigen Abstands zu den Durchschnittseinkom-men — braucht, um die Arbeitslosigkeit zu senken (oder andere abstruse Argumente aufführt, die wir hier nicht wiederholen wollen), müssen zugestehen, dass es nicht gerechtfertig ist, wegen der Energiewende die Lebensver-

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hältnisse der unteren Einkommensgruppen noch einmal zu verschlechtern. Die Politik muss freilich von vorneher-ein bereit sein, für einen Ausgleich der zusätzlichen Belas-tung bei den betroffenen Subjekten zu sorgen, um beide Klippen gleichzeitig zu umschiffen.

Globale Lösungen und der Markt

Allerdings gibt es bei Befürwortern wie Kritikern der deut-schen Energiewende durchaus Skepsis, ob die vorhande-nen Technologien zum Ausgleich starker Leistungsschwan-kungen bei den erneuerbaren Energieträgern schon bald zur Verfügung stehen. Auch die Bundesregierung, die aus Prinzip optimistisch sein muss, geht offenbar sehr vorsich-tig mit diesem Thema um. Einige Befürworter der Ener-giewende sagen ganz offen, dass dann, wenn man auf Atomkraft verzichtet (was wir ohne jede Wertung sagen!), fossile Energie noch viele Jahre oder gar Jahrzehnte auch im Bereich der Kraftwerke zur Stromerzeugung ge-braucht wird. Das wirft dann allerdings ein globales Problem auf, das bisher in der Öffentlichkeit überhaupt nicht zur Sprache gekommen ist. Aus rein ökonomischen Gründen war im-mer klar, dass eine Energiewende in einem Land der Welt das globale Problem der Verbrennung fossiler Stoffe nicht lösen kann. In einem funktionierenden Markt führt der Minderverbrauch an einer Stelle zwingend zu einem Mehr-verbrauch an einer anderen, weil der Markt bei einem ge-ringeren Verbrauch eines Konsumenten die aus der Erde gewonnenen Energieträger Öl, Kohle und Gas mithilfe von Preissenkungen an die übrigen Konsumenten bringt. Insofern, das müssen allerdings noch viele Einsparadvo-katen lernen, gibt es keinen »Beitrag«, den ein Land (oder gar irgendeine kleinere Einheit wie ein Haushalt oder eine Privatperson) zur globalen Energiewende leisten kann, s

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