158 hätte, hätte es mir darum nicht so leid getan, falls ich es verloren hät-
te als daß nun unser lieber Herr Gott mir und nicht allein mir, son-
dern der ganzen Welt diesen lieben und teuren Mann genommen hat.
Wenn ich daran denke, so kann ich vor Leid und Weinen (was Gott
wohl weiß) weder reden noch schreiben lassen« 75, schreibt sie am 25.
April 1546 an ihre Schwägerin Christine. Der Brief zeigt, wie heftig
sie trauert, wie sehr ihr dieser Mann nun fehlt.
Gleichzeitig ahnt Katharina Luther wohl auch schon, was nun auf
sie zukommt: Denn trotz eines eindeutigen Testaments ihres Mannes,
das sie zu seiner Alleinerbin macht, muss sie erbittert kämpfen, um
im Schwarzen Kloster wohnen bleiben zu dürfen. Warum wird der
letzte Wille ihres Mannes nicht respektiert? Weil er keinen Vormund
für Katharina bestimmt hat. Das ist sein Fehler. Dabei wusste Mar-
tin Luther ja, dass seine Katharina die Letzte ist, die einen Vormund
braucht. Aber das hilft ihr jetzt nicht. Sie muss Melanchthon anbet-
159teln, um über die Runden zu kommen, schreibt einen Bittbrief nach
dem anderen. __
Schließlich überweist ihr der Kurfürst 100 Gulden Uberbrü-
ckungsgeld, doch man verlangt von der Witwe, die Söhne zum Studi-
um wegzugeben, das Kloster zu verlassen, sich einzuschränken und in
eine kleinere Wohnung zu ziehen. Katharina Luther aber denkt nicht
daran und macht das Gegenteil - und wieder zeigt sie ihren starken
Willen "und ihre Durchsetzungskraft: Sie zieht nicht nur nicht aus
dem Schwarzen Kloster aus, sondern nimmt noch mehr Studenten
auf und kauft zusätzlich zu Zülsdorf noch ein zweites Gut in Wachs-
dorf hinzu, um sich wirtschaftlich abzusichern. ››Die Frau ließe sich
doch nicht raten«, bemerkt Melanchthon schmallippig, »sondßm il"1Y
Gutdünken und Meinung müsse alleweg vorangehen.<<76
Kurfürst und Hof fügen sich darein, allerdings bekommen Katha-
rina und ihre Kinder verschiedene Vormünder; dass sie selbst Vor-
mund der Kinder wird, wie ihr Mann es vorgesehen hatte, kann sie
nicht erreichen. Aber das Wichtigste scheint Katharina zu sein,_dass
sie alle Kloster wohnen bleiben können, das sie ja ganz gut ernahrt.
Doch Ruhe hat sie nicht lange nach diesem Kampf. Denn ın den
ihr noch verbleibenden wenigen Jahren muss sie das Schwarze Klos-
ter drei Mal mit Sack und Pack verlassen: Zwei Mal erlebt sie, was
Krieg, Not und Verwüstung sind: Noch in Luthers Todesjahr bricht
der Schmalkaldische Krieg aus, die kaiserlichen - katholischen -
Truppen versuchen, die evangelischen Landesteile zurückzugewın-
nen und stehen vor Wittenberg, Katharina flüchtet mit ihrer Familie
im Oktober über Dessau nach Magdeburg. Bei ihrer Rückkehr Ostern
1547 ist alles Vieh tot, die Vorräte und Gärten geplündert, nur d21S
Kloster steht noch. Die beiden Güter in Zülsdorf und Wachsdorf aber
muss Katharina wohl abschreiben.
Doch hat sie in Wittenberg gerade alles mit viel Mühe wieder her-
gerichtet, als sich das böse Spiel wiederholt: Die Truppen kehren zu-
rück, wieder flieht Katharina, diesmal bis nach Braunschweig, wo sie
mit den Kindern in einem evangelischen Kloster unterkommt. Teuer
160 ist ihre Flucht, die 600 Gulden, die das verschlingt, bringt sie auf, in-
dem sie Luthers Silberbecher beleiht.
Bei ihrer Rückkehr im Juli dasselbe traurige Schauspiel: Alles was
sie mit ihren eigenen Händen aufgebaut hat, ist zerstört, abgebrannt,
diesmal auch das Kloster, nur Ruinen stehen noch. Bis 1548 wird das
Schwarze Kloster renoviert, dann ifloriert es wieder, Studenten ziehen
wieder ein, in der Aula werden`íVorlesungen abgehalten.
So könnte es weitergehen,iKatharina ist ja erst fünfzig, sie hat
wieder alles im Griff.
Doch schon zwei Jahre später muss sie wieder ihre Sachen und
Kinder packen und vor einem neuen Feind fliehen ~ diesmal ist es
die Pest, die nach Wittenberg kommt, der sogenannte Schwarze Tod.
Diesmal brechen sie in größter Hast und nur mit dem Nötigsten nach
Torgau auf, wo sie sich vor der Seuche sicher glauben. Doch dort wird
Katharina Luther nicht mehr ankommen: Kurz vor der Stadt scheuen
die Pferde und gehen durch, Katharina stürzt vom Wagen und in eine
kalte Pfutze, in der sie erst einmal liegen bleibt, weil sie sich mehrere
Knochen und die Hüfte gebrochen hat.
Das ist ihr Todesurteil. Zwar wird sie eilends nach Torgau ge-
schafft, wo sie ihre jüngste Tochter Margarethe noch drei Monate lang
pflegt, doch Katharina ist zu schwach, um sich von diesem Sturz und
der Unterkühlung zu erholen. Am 17. Dezember 1552 wird die Toch-
ter 18 Jahre alt, am 20. stirbt Katharina Luther, geborene von Bora,
mit gerade 53 Jahren. Am Haus ist heute eine Tafel angebracht, in der
Torgauer Stadtkirche findet man ihr Grab.
21 Jahre ist Katharina an Luthers Seite gewesen. Wäre die Refor-
mation ohne sie anders verlaufen? Sehr wahrscheinlich. Denn ohne
die positiven Erfahrungen, die Luther in dieser Ehe machen konnte
wären viele seiner Erkenntnisse ganz anders ausgefallen, theoreti-
scher, rıgıder. So aber kommt er zu der grundsätzlichen Erkenntnis:
»Es ist keine lıeblıchere, freundlichere noch holdseligere Verwandt-
nis, Gemeinschaft und Gesellschaft denn eine gute Ehe.«77
Privat lief es also gut zwischen Martin und Katharina. Aber sonst?
Was ist aus dem Traum von Freiheit und Abenteuer geworden, den
die jungen Nonnen einst im Kloster geträumt haben? Konnten. sie
das, was sie sich vorgestellt, gewünscht, ersehnt hatten, realisieren?
Bei Katharina hat man den Eindruck: Doch, das Leben, das sie an
Luthers Seite geführt hat, muss schon ungefähr ihren Erwartungen
entsprochen haben. Schließlich hat sie weitgehend selbstbestimmt
wie eine Unternehmerin schalten und walten können, wie sie es für
richtig erachtet hatte.
Allerdings ändert sich das schlagartig nach dem Tod des Mannes
an ihrer Seite. Mochte sie auch die Lutherin sein, das nützt ihr nun
nichts mehr. Plötzlich ist sie eine Witwe und damit rechtloser, als
sie es im Kloster gewesen ist. Einen Vormund braucht sie jetzt, um
wenigstens in den Genuss minimalster Rechte zu kommen. Sie muss
sich wehren gegen alle, die ihr das Recht absprechen, ihren Status als
Lutherin auch ohne Luther zu verteidigen und die Familie zusam-
menhalten. Und sich allein durchschlagen gegen alle Widrigkeiten,
die sichıeiner Witwe in den Weg stellen.
Hat sie ein Gefühl entwickelt das Unrecht, das in der Ungleich-
behandlung von Mann und Frau steckt? Vermutlich eher nicht. Zu
eindeutig scheint die patriarchalische Ordnung biblisch begründet zu
sein, wonach die Frau dem Manne untertan sei. Generationen zitie-
ren das berühmte Paulus-Wort so oft, dass es den Rang einer Wahr-
heit bekommt. Genau wie das andere ebenso berühmte Wort, das das
Verhältnis der Kirche zu den Frauen bis in unsere Tage hinein geprägt
hat, und das selbst die kennen, die sonst nicht gerade bibelfest sind:
`››Wie in allen Gemeinden der Heiligen, lasset eure Weiber schweigen
in der Gemeinde: Denn es soll ihnen nicht zugelassen werden, dass
sie reden, sondern sie sollen untertan sein, wie auch das Gesetz sagt.
Wollen sie aber etwas lernen, so lasset sie daheim ihre Männer fragen.
Es stehtden Weibern übel an, in der Gemeinde zu reden<<78, schreibt
Paulus im Brief an die Korinther.
Diese Botschaft passt den Männern der Kirche besser ins Konzept
162162 als andere Aussagen der Bibel, wonach sich alle Menschen gleicherma-
ßen als Kinder Gottes fühlen dürfen oder als ein Jesus, der sich gern
mit Frauen umgab, weil er ihre Gesellschaft schätzte. Zudem steckt
das mehr als zehntausend Jahre alte Patriarchat den Menschen so in
den Genen und Knochen, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, die
uralte Herrschaft des Mannes über die Frau infrage zu stellen.
Auch Luther tut dies nicht, der doch so vieles infrage stellt. Und
nicht einmal den Männern der Französischen Revolution 250 Jah-
re später ist die Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann einen
Gedanken wert, obwohl sie in der Nationalversammlung 1789 die Er-
klärung verabschieden, die noch heute Fundament der universalen
Menschenrechte ist: ››Von ihrer Geburt an sind und bleiben die Men-
schen frei und an Rechten einander gleich.«79 Ein klarer Satz, sollte
man meinen. Kein Wunder, dass die Philosophin und Schriftstellerin
Olympe de Gouges, eine Anhängerin der Revolution, daraus logisch
schließt: Alle Menschen sind gleich. Ich bin ein Mensch. Also bin
ich gleich. Und sie fordert 1791,- rund ein Vierteljahrtausend nach
Luthers Tod - in ihrer ››Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin«
für sich und ihre Geschlechtsgenossinnen die gleichen Rechte. Die
Herren Revolutionäre sehen die Sache jedoch ein wenig anders und
gewähren Olympe de Gouge 1793 das Recht, das Schafott zu besteigen.
So verwundert es nicht, dass Luthers Reformation so viel früher
den Frauen nicht viel, ja eigentlich fast nichts gebracht hat, obwohl
einige Frauen damit anfänglich grdße Hoffnungen verknüpften. In
Genf gibt es zum Beispiel die zum Protestantismus übergetretene Ab-
tissin Marie Dentière, die alle Glaubensbrüder und -schwestern öf-
fentlich dazu auffordert, die Frau als gleichwertigen Mitmenschen zu
akzeptieren und ihr Mitspracherecht in religiösen Debatten zu ge-
währen. Prompt beschlagnahmen die Kirchenoberen ihre Schrift und
erlassen sofort strenge Zensurgesetze, damit sich so ein Affront nicht
wiederhole. Am Ende sind die Frauen wieder, was sie immer waren:
geistliche Mägde, religiöse Gehilfinnen, die ihren Männern dienen,
die Kirche putzen und für den Blumenschmuck sorgen.8°
Und das bleiben sie noch lange. Bilder einer Luther'schen Famili-
en-Idylle entstehen und werden im Verlauf der weiteren Jahrhunder-
te benutzt, um die patriarchalische Ordnung der Familie zu zemen-
tieren. Populär wird im 19. Jahrhundert das Bild des Malers Gustav
Adolph Spangenberg, das den Laute schlagenden Martin Luther als pa-
ter familias inmitten seiner singenden Kinderschar zeigt, das Jüngste
auf dem Schoß der Mutter, wahlweise vor dem Kachelofen der Luther-
stube oder dem geschmückten Christbaum, den es zu Luthers Zeit
dort gar nicht gab. Macht nichts. Das Motiv ist beliebt, wird tausend-
fach als Postkarte verschickt und in zahlreichen Pfarrhäusern müht
man sich, dem Bild zumindest nach außen hin zu entsprechen.
Daher verwundert es nicht, dass die Frau als Pfarrerin lange kein
Thema war in den protestantischen Kirchen. In Deutschland hat es
zwei Weltkriege gebraucht, um alles zu hinterfragen, was als protes-
tantische Theologie gelehrt wurde. Im Verlauf dieses Prozesses wur-
de dann auch gefragt: Wieso sollen eigentlich Frauen vom Pfarramt
ausgeschlossen werden? Gibt es dafür eine stichhaltige theologische
Begründung? Und die Antwort lautete: Eigentlich nein, aber
Das musste gründlich diskutiert werden, und das dauerte. Zwar
wurde in einigen Landeskirchen der EKD schon während der 50er
und 60er Jahre die Frauenordination eingeführt, aber die evange-
lisch-lutherische Kirche Schaumburg-Lippe hat sich damit bis 1991
Zeit gelassen. Die Wahl Maria Jepsens zur weltweit ersten lutheri-
schen Bischöfin 1992 erregte auch weltweit Aufsehen. Die Amtsein-
führung Margot Käßmanns 1999 als Bischöfin der größten evange-
lisch-lutherischen Landeskirche in Deutschland Hannover erhitzte
die Gemüter.
Aber immerhin: Die protestantische Kirche ist diesen Weg ge-
gangen, und vielleicht konnte sie ihn leichter gehen, weil an Martin
Luthers`Seite sein »Herr Käthe« aller Welt gezeigt hatte, was alles
eine Frau vermag, wenn man sie nur lässt. Sie wäre auch mit einer
Pfarrstelle fertig geworden, wenn man ihr nur eine anvertraut hätte.
164XIII Der Patriarch von Wittenberg
164 Seit dem Bauernkrieg hat Luthers Autorität in der Welt einige Krat-
zer bekommen, und noch einige mehr, als er Katharina von Bora
heiratete. Manch wohlgesonnenem Konservativen war dieser »Skan-
dak< peinlich. Aber Luther wäre nicht Luther, wenn er es nicht ver-
stünde, immer noch eins draufzusetzen: Der ehemalige Mönch wur-
de Vater. Seine ehemalige Nonne erwartete ein Kind. Der Skandal
war perfekt. ~ 'Vi 1
Noch einmal ging der Erregungspegel hoch, wurde landauf, land-
ab diskutiert über diesen Luther, der über seine Heirat sagt dass er es
»dem Teufel mit seinen Schuppen, den großen Hansen, Fürsten und
Bischöfen zum Trotz getan« habe. Er wolle »auch gern noch mehr
Ärgernisse anrichten, wenn ich nur noch mehr wüsste, was Gott ge-
fiele und sie verdrösse Denn ich gebe nicht auf und fahre immer
fort und treibe es umso toller, je weniger sie es wollen« - Luther wie
er leibt und lebt. 7
Nichts ficht ihn noch an. In seiner Heimat in Wittenberg und
Sachsen bleibt er der große Patriarch.
Und dabei schwebt er ja noch immer in Lebensgefahr. Er ist wei-
terhin mit dem Kirchenbann belegt, steht unter der Reichsacht, und
in Rom warten sie zunehmend ungeduldig darauf, dass der Kaiser
endlich liefert. Der aber hatte offenbar noch nicht die Zeit gehabt oder
vielleicht auch nicht das nötige Interesse aufgebracht, um Luther ge-
fangen zu nehmen und nach Rom zu bringen, denn es scheint wich-
tıgere Reichsangelegenheiten zu geben, die seine Aufmerksamkeit er-
fordern - Meinungsverschiedenheiten mit dem Papst, Querelen mit
dem französischen König und immerzu die aggressiven Osmanen vor
der Ostgrenze seines Reiches, da will er sich nicht auch noch zusätz-
lichen Arger mit den zahlreichen Luther-Sympathisanten aufhalsen.
164
Im Jahr 1526 ist wieder einmal Reichstag, diesmal in Speyer, wie-
der steht der Fall Luther auf der Agenda, aber Kaiser und Reichsstän-
de können sich auf nichts einigen und vertagen die Sache auf später.
Bis dahin solle jeder Regent selbst entscheiden, welche Konfession
auf seinem Territorium gelte.
Diese pragmatische, als bloßes Provisorium gedachte Absprache
jedoch etabliert sich als etwas Dauerhaftes. Im »Augsburger Religi-
onsfrieden« von 1555 wird diese Regel ››cuius regio, illius religio« -
wessen Gebiet, dessen Religion - schließlich zu einem Gesetz. Fast
ein Jahrhundert lang bestimmt nun die Konfession des Fürsten die
Konfession seiner Untertanen.
Auf dem nächsten Reichstag, wieder in Speyer, im Jahr 1529, for-
dert Erzherzog Ferdinand von Österreich, jetzt aber wirklich mal
Ernst zu machen mit dem »Wormser Edikt« und den Ketzer Luther
endgültig nach Rom auszuliefern. Doch alles, was er damit erreicht,
ist ein Sturm der Entrüstung bei den lutherisch gesinnten Reichs-
ständen, die deshalb unter Protest das Treffen verlassen. Seither hei-
ßen die _Anhänger der Reformation auch Protestanten.
jNoch einmal richtig ernst wird es, für Luther ein/weiteres Jahr
später beim Reichstag in Augsburg. Diesmal ist es der Kaiser selbst,
der nun darauf dringt, Luther gefangen zu nehmen, und erschwerend
kommt hinzu: Luthers Beschützer und Gönner, Friedrich der Weise,
ist tot.
In dieser Situation versucht Melanchthon den Nachweis zu er-
bringen, dass die Wittenberger Refgijíjflššiiøıı.mit..d§,I„Ji§ÃlÃg§_n Schrift
und der wahren Kirche übereinsti/mmt. Ein halbes Dutzend evange-
lischer Landesherren und die Reichsstädte Nürnberg und Reutlingen
unterschreiben den Text am 25. Juni 1530. Noch immer haben also
die Reformatoren keine Kirchenspaltung im Sinn, wollen im Schoß
der Kirche bleiben. J ,
Der Kaiser und die katholische Mehrheit jedoch, gewohnt das Prin-
zip »Befehl und Gehorsam« zu exekutieren, haben schon lange keine
Lust mehr, sich mit immer neuen langatmigen Texten der Gegenseite
166166 zu befassen und endlos darüber zu diskutieren. Daher bleiben sie s}ur
und bestehen auf der Verhaftung Luthers, und zwar schnell. \`
Melanchthons Schrift verfehlt also ihr Ziel, macht aber, und das
ahnen Melanchthon und die Unterzeichner des Textes zu diesem Zeit-
punkt noch nicht, Geschichte, denn der Text wird als Confessio Au-
gustana (CA) zur entscheidenden Bekenntnisschrift der Reformation. ı
Der grundlegende Text gehört noch heute zu den verbindlichen Be- 1
kenntnisschriften“ der lutherischen Kirchen, in der Fassung von 1540 ,
(Variata) auch der reformierten Kirchen. Das zeigt, welch hervorra-
genden Theologen Luther in Melanchthon an seiner Seite hatte.
Nachdem die reformatorisch gesinnten Fürsten gesehen haben
Kursachsen und Hessen zum ››Schmalkaldischen Bund<< zusammen,
eine Art Verteidigungsbündnis, das sich den päpstlichen Truppen ent-
gegenstellen sollte, wenn diese es tatsächlich auf Luther abgesehen
hätten. Das verschärft den Konflikt mit Papst und Kirche. Es riecht
nach Krieg und die Schlinge um den Hals Martin Luthers zieht sich
weiter zu.
Aber dann sind es ausgerechnet die von Luther beschimpften
Osmanen, die ihn indirekt retten, denn diese rücken nach Westen
vor und bedrängen - nicht zum ersten Mal - das Habsburger Reich.
Luther hatte schon häufig und früh die Osmanen als »Agenten des
Teufels« und zugleich deren Invasion in Europa als eine Strafe Gottes
gegen das Christentum und den Papst beschrieben.
Nun, da die »Agenten des Teufels« vor Wien stehen, ziehen sie
Luthers Kopf aus der Schlinge, denn der Kaiser braucht jetzt kei-
nen Gefangenen Luther, sondern jeden Fürsten und jeden Mann im
Kampf gegen die Osmanen. Gemeinsam ziehen Protestanten und Ka-
tholiken gegen den osmanischen Sultan Suleiman II. ins Feld und
zwingen ihn zum Rückzug. Wieder hat Luther Ruhe vor dem Kaiser
und dem Wormser Edikt.
Diesmal für immer. Luther lebt und lehrt bis zuseinem Tod unbe-
)
wie ernst es dem Kaiser mit der Verhaftung Luthers ist, schließen
sie sich am 27. Februar 1531 in Schmalkalden unter Führung von
helligt in Wittenberg. Er predigt, hält Vorlesungen, dichtet und kom-
poniert Kirchenlieder und nutzt die Zeit, um die restlichen Teile der
Bibel, vor allem das Alte Testament, zu übersetzen. Im Jahr 1534 ist
es geschafft. Erstmals erscheint die ganze Bibel in der Übersetzung
Martin Luthers auf Deutsch.
Auch einen Katechismus schreibt er; Damit legt er das Fundament
für eine evangelische christliche Erziehung und Bildung.
Seine Heirat mit Katharina war seine vorletzte reformatorische Tat.
Die letzte Tat vollbringen beide durch die Art, wie sie das Pfarrhaus
führen. Das wird zum Urbild protestantischer Pfarrhäuser in Deutsch-
land. Hier werden nun die Kinder erzogen, findet christliches Famili-
enleben statt,izieht Luther seine Schlüsse über Ehe und Familie. Hier
gehen Gäste ein und aus, finden Luthers berühmte Tischgespräche
statt, wird fröhlich gegessen, getrunken, gestritten, politisiert, polemi-
siert. Aus diesem Urbild entwickelt sich das protestantische Pfarrhaus
als Institution. In ihr verbringt Luther die letzten zwei Jahrzehnte sei-
nes Lebens, das allmählich in ein ruhigeres Fahrwasser gerät.
Andere bestimmen zunehmend den Fortgang der Reformation,
die Landesfürsten, die Reichsstädte, auch Luthers Freund und engs-
ter Mitarbeiter Philipp Melanchthon. Er ist jetzt der führende Kopf
der Reformation, er systematisiert die sprunghafte lutherische Theo-
logie und bringt eine gewisse Ruhe in die weitere Entwicklung und
Etablierung der evangelischen Kirchen hinein.
Luther hat nichts dagegen, denn er merkt, wie ihm die Kräfte
schwinden. Je älter er wird, desto mehr werden die Leiden, die ihn
plagen, und es bleibt trotzdem noch immer genug zu tun. Zahlreiche
Länder weit über Deutschland hinaus hatten sich von der Kirche in
Rom losgesagt. Daraus entstand der Zwang, sich eine neue Kirchen-
ordnung und eine neue Organisationsstruktur zu geben. Fragen, wie
dies zu bewerkstelligen sei, nach welchen Grundsätzen, in welchen
Formen, landeten fast zwangsläufig im Zentrum der Reformation, also
168Die Wittenberger Stadtkirche und die Professoren der Theologi-
schen Fakultät entwickelten sich dadurch auf fast natürliche Weise
zu einer Art Aufsichts- und Ordinationsbehörde für den evangeli-
schen Pfarrstand im Reich und im Ausland. Wenn die Professoren
nicht mehr weiterwussten, gingen sie zu Melanchthon und Johannes
Bugenhagen, dem Wittenberger Stadtpfarrer und Superintendenten,
der Luthers Beichtvater und engster geistlicher Vertrauter war und
als Visitator und Kirchenorganisator Norddeutschlands und Skandi-
flaviens großen Einfluss gewann. Bugenhagen und Melanchthon wie-
holten sich Rat bei Luther, dem auf diese Weise doch noch
Rolle eines zwar niemals gewählten, aber von allen anerkannten
der neu entstehenden Kirche zufällt. Das kleine Wit-
mutiert dadurch zeitweilig zu einer Art ››Rom des Welt-Pro-
Eigentlich hätte Luther in diesen späten Lebensjahren, da er
wie sich seine Gedanken über die Welt verbreiteten und stetig
Anhänger fanden, zunehmend ruhiger, friedlicher und milder
sein müssen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Luther wird170 zum großen Hasser, der manchmal jegliches Maß verliert. Den Papst,
den er immer wieder als Antichrist, ja als Teufel beschimpft, hasst er
von Jahr zu Jahr inbrünstiger. Für seine Ausfälle gegen die Osmanen
und den Koran müssen sich Protestanten heute gegenüber den mit
uns lebenden Türken schämen, und leider entwickelt er sich auch
zum großen Judenfeind. 1543 veröffentlicht er die uns heute höchst
verstörende Hetzschrift Von den Juden und ihren Lügen, die den eh
schon vorhandenen Anti-Judàismus verstärkt und mit dazu beträgt,
dem Anti-Semitismus in Europa und besonders in Deutschland den
Weg zu bereiten. Vier Jahrhunderte später werden sich die Nazis da-
rauf berufen.
In dem Machwerk gibt Luther Ratschläge, wie die Obrigkeit ››mit
diesem verworfenen, verdammten Volk der Juden« umspringen solle:
Sie müsse ihre Synagogen niederbrennen, ihre Häuser zerstören und
sie selbst ››wie die Zigeuner« in Lager sperren. Noch in seiner letzten
Predigt in Eisleben, drei Tage vor seinem Tod, fordert er von der Kan-
zel, die Juden müssten aus der christlichen Gesellschaft ausgeschlos-
sen werden, da sie nicht abließen, Jesus zu lästern. Äußerungen von
ihm aus früheren Zeiten waren wesentlich freundlicher, aber da hatte
er noch erwartet, dass die Juden sich früher oder später zum Chris-
tentum bekehren würden. Da die Juden nicht daran dachten, sich von
ihm bekehren zu lassen, verwandelte sich seine Sympathie in Hass.
Die Ausbrüche des alten Luther gegen die Juden stehen erratisch in
seiner Vita. In seine Theologie hat er diesen Hass nicht integriert. Es
war auch kein rassistischer Hass wie später im Nationalsozialismus,
sondern ein religiös bedingter, was den Hass aber auch nicht besser
macht. Jene Deutschen, die zuerst die Synagogen anzündeten und
später sechs Millionen Juden im Gas ermordeten, interessierte diese
feine Unterscheidung nicht - ein beschämendes Erbe des Protestan-
tismus bis heute.
Martin Luther reist am 23. Januar 1546, schon schwer krank, nach
Eisleben, um einen Familienstreit zu schlichten.“ Dort bleibt er eini-
ge Wochen, predigt auch mehrmals, zuletzt in der Andreaskirche, wo
er einen Schwächeanfall bekommt und abbrechen muss. Zwei Tage
danach, am 17. Februar, spürt er heftige Schmerzen in der Brust und
leidet unter Atemnot. Unruhig geht er auf seinem Zimmer umher,
fühlt die Nähe des Todes und sagt verwundert: »Ich bin hier zuEisle-
ben geboren und getauft, wie wenn ich hierbleiben sollte?<<82
Dabei hatte er gerade in seinem ihm eigenen deftigen Humor an
seine Käthe geschrieben: »Wenn ich wieder heim gen Wittenberg
komm, so will ich mich alsdann in den Sarg legen und den Maden
einen feisten Doktor zu fressen geben.<<83 _
Den Abend, es geht ihm schon wieder besser, verbringt er in fröh-
licher Runde und isst und trinkt viel wie immer, geht gegen acht Uhr
ins Bett, schläft ein und wacht zwei Stunden später wieder auf. Die
Brustschmerzen sind wieder da, stärker als je, die Atemnot auch, er
friert. Seine Umgebung - zwei Söhne, die Wirtsleute, der Schloss-
prediger - ahnen, dass es zu Ende geht, bleiben bei ihm, rufen zwei
Ärzte. Auch Graf Albrecht und seine Gräfin aus dem nahe gelegenen
Stadtschloss kommen und bemühen sich um Luther. Die Gräfin reibt
ihn mit Aquavit ein, und plötzlich steht die Frage im Baum: Wie soll
er sterben? Doch nicht auf katholische Art mit letzter Olung und den
Sterbesakramenten, einem Rosenkranz und der Anrufung der Heili-
gen?
Den anwesenden Söhnen und Theologen ist sehr bewusst, dass da
nicht nur der Vater, ein Privatmann, stirbt, sondern Martin Luther,
und dass dieser auf reformatorische Art sterben muss und das auch
anschließend zu berichten sein wird. Sie haben noch frisch im Ge-
dächtnis, dass ein paar Monate zuvor, in einem aus Italien stammen-
den Pamphlet verkündet wurde, Luther sei eines schändlichen Todes
gestorben. Nach seiner Beerdigung habe es in Seinem Grab YUm01't,
und als man es öffnete, sei es leer gewesen, aber voll von schwefligem
Gestank ± eine Anspielung auf den mittelalterlichen Glauben, dass
ein Ketzer am Ende seines Lebens seiner Seele beraubt wird von ei-
nem nach Schwefel stinkenden Teufel.“ 172 Deshalb beten die Anwesenden mit Luther. Dreimal soll er den
Vers aus Psalm 31,6 gebetet haben: »In deine Hände befehle ich mei-
nen Geist; du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott.«85 Und in einer
der letzten Minuten, in der er noch bei Bewusstsein war so berich-
ten sie hinterher, hätten sie ihn gefragt, ob er sich zu Jesus Christus
bekenne, und er habe mit einem klaren Ja geantwortet, ehe er ver-
schied.86 ` _
Luther schafft es also tatsächlich nicht mehr nach Wittenberg.
Er stirbt an jenem kleinen Ort, in dem er geboren wurde, in einem
Haus, das nur einen Katzensprung von seinem Geburtshaus entfernt
ist. Und er stirbt, wie gleich anschließend berichtet wird, einen from-
men, christlich-evangelischen Tod. "Trotzdem werden von katholi-
scher Seite sofort üble Gerüchte verbreitet, und die Behauptung, er
habe Selbstmord begangen oder sei vom Teufel selbst erwürgt wor-
den, hält sich unter Lutherhassern bis ins 19. Jahrhundert.“
Luther konnte in dem Bewusstsein sterben, dass sich seine Re-
formation in Deutschland und darüber hinaus etabliert hat und in
der Hoffnung, dass man sich in Rom doch noch eines Besseren be-
sınnt und seine Lehre annimmt. Er wäre gerne als Reformkatholik
gestorben, nicht als Kirchenspalter. Doch daraus wird nichts mehr.
Das Land ist offenbar schon unwiderruflich in zwei konfessionelle La-
ger gespalten, die sich nachhaltig befehden und immer wieder auch
blutig bekämpfen. Weniger als ein halbes Jahr' nach dem Tod des Re-
formators gehen Katholiken und Protestanten erstmals mit Waffen
aufeinander los.
XIV Der blutige Kampf um die Wahrheit
Im Jahr 1555 ist Deutschland zu neunzig Prozent evangelisch. Der
Augsburger Religionsfriede vereinbart ein Stillhalteabkommen zwi-
schen beiden Konfessionen. Die Luther-Kirche organisiert sich schon
zu Lebzeiten des Gründers in Landeskirchen, die sich mit den weltli-
chen Territorien decken. Deren Regenten sind die Oberherren ihrer
regionalen Kirchen. Die Liaison von Kirche und Staat wird im Protes-
tantismus enger, als sie es im l\/littelalter mit den Antipoden Papst und
Kaiser war und begründet eine über Jahrhunderte andauernde unhei-
lige Allianz ,zwischen Thron und Altar. Die zerbricht in Deutschland
erst mit dem Ende des Kaiserreichs 1918. A
Die katholische Kirche beginnt mit einer ››Gegenreformation«.
Nachdemflsie erkennt, dass ihr vorläufig die Kraft fehlt, den Protestan-
tismus gewaltsam zurückzudrängen, führt sie ihren Kampf gewaltlos
weiter mit Gegenpropaganda, Missionierung, aber auch mit geistiger
Auseinandersetzung und vor allem mit einer Selbstreformation; ei-
ner Erneuerung von innen her. So gesehen hat Luther seiner alten
Kirche doch noch einen letzten Dienst erwiesen; Dadurch, dass die
Kirche durch die Erfolge des Protestantismus genötigt war, nach den
Gründen dieses Erfolgs zu suchen und sie, soweit es eben möglich
war, zu beseitigen. Tatsächlich ging die Rechnung auf. Viele ehemals
,Abtrünnige kehrten in den Schoß der katholischen Kirche zurück.
Viele aber auch nicht. Daher gab es nun einfach zwei Kirchen.
Also auch zwei Wahrheiten. Wenn es aber zwei Wahrheiten gibt, kann
es dann nicht auch drei, vier, viele Wahrheiten geben? Oder vielleicht
gar keine, jedenfalls keine absolute?
Diese Fragen sind nun da. Andere gesellen sich dazu. Da ist dieser
schon mehrfach erwähnte Astronom Nikolaus Kopernikus, der sich
174 allein aufgrund irgendwelcher Berechnungen zu der Behauptung
verstiegen hat, die Erde sei keine Scheibe, sondern eine Kugel, und
sie stehe nicht im Mittelpunkt des Weltalls, wie es die Kirche lehrt,
sondern kreise um die Sonne. Beweisen konnte er es nicht, aber hat
es nicht Kolumbus mit seinem Seeweg nach Indien bewiesen? Wenn
die Kirche also in diesem Punkte irrt, irrt sie dann möglicherweise
auch in anderen Punkten?
Und in Nürnberg gibt es einen Maler, Albrecht Dürer, der nicht
mehr Heiligenbildchen und biblische Szenen malt, sondern sich, sei-
ne Mutter, Nürnberger Patrizier und ganz gewöhnliche Zeitgenossen.
Was hat das zu bedeuten? Werden da etwa - wie in einer Wohnung die
Möbel - die Dinge der Welt so lange hin und her gerückt, bis nichts
mehr an seinem seit Jahrhunderten angestammten Platz steht? Ko-
pernikus rückte dieiErde aus dem Mittelpunkt des Weltalls an den
Rand, dafür rückt nun dieser Dürer den Menschen ins Zentrum der
Erde. Gehört er da wirklich hin? Wird da an der Wende vom 15. zum
- Jahrhundert die ganze Welt ver-rückt? .
Es gab noch Schlimmeres, von dem die große Mehrheit in Euro-
pa nichts mitbekam, etwas für die damalige Zeit ganz und gar Ver-
rücktes, das in den Giftschrank gehörte und nur von dazu Berufenen
in kleinen Dosen benutzt werdenμdurfte, einen Text, eine Ketzerei,