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FLASSBECK 1-20 SEITEN

2018. július 07. 03:52 - RózsaSá

Suhrkamp Verlag

Leseprobe

 

Flassbeck, Heiner / Steinhardt, Paul

Gescheiterte Globalisierung

Ungleichheit, Geld und die Renaissance des Staates

© Suhrkamp Verlag edition suhrkamp 2722

978-3-518-12722-3

edition suhrkamp 

 

Die Globalisierung war eine wunderbare Idee. Nachdem die politische Spaltung in Ost und West überwunden war, schien der friedlichen Kooperation aller Menschen nichts mehr im Wege zu stehen.Würde man nur alle Hürden aus dem Weg räumen, so die liberale Vorstellung, bildete sich eine spontane Ordnung, die den Traum vom freien und wohlhabenden Erdenbürger wahr werden ließe. Doch nach der großen Krise, nach Trump und Brexit ist das Projekt gescheitert. Dieliberale Wirtschaftstheorie ist prinzipiell ungeeignet, die Dynamik einer Marktwirtschaft zu verstehen und valide politische Empfehlungen zu geben. Weder für die globale Kooperation der Nationen noch für die angemessene nationale Politik gibt es heute ein tragfähiges Konzept. Die Autoren zeigen, wie man das auf der Basis einer modernen Wirtschaftstheorie schafft.

Heiner Flassbeck ist ein deutscher Ökonom. Er war / Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen und von  bis  Chefvolkswirt der Welthandels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD).

Paul Steinhardt war in Führungspositionen für deutsche Banken und deren Tochtergesellschaften im In- und Ausland tätig. Gemeinsam geben sie das wirtschaftspolitische Magazin Makroskop heraus.

Heiner Flassbeck/Paul Steinhardt Gescheiterte Globalisierung

Ungleichheit, Geld und die Renaissance des Staates

Suhrkamp

Erste Auflage  edition suhrkamp 

Originalausgabe

© Suhrkamp Verlag Berlin 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH,Waldbüttelbrunn

Druck: Druckhaus Nomos, Sinzheim

Umschlag gestaltet nach einem Konzept von Willy Fleckhaus: Rolf Staudt Printed in Germany

ISBN ----

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

I. Globalisierung und Digitalisierung – die Herausforderungen unserer Zeit . . . . . . . .  Warum ist die liberale Globalisierung gescheitert? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

Was verlangt die Globalisierung? . . . . . . . . . . 

Digitalisierung als Bedrohung? . . . . . . . . . . . 

Die Scheinantworten des Liberalismus . . . . . . 

II. Der demokratische Staat und die

Gesamtwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

Geld, Kapital und Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . .  Demokratie und Nationalstaat . . . . . . . . . . . . 

Grundzüge einer neuen Ökonomik . . . . . . . . 

III. Der Neoliberalismus als Regression . . . . . . . . 

Der Arbeitsmarkt ist kein Markt . . . . . . . . . . 

Funktionslose Ungleichheit . . . . . . . . . . . . . . 

Funktionslose Gewinne . . . . . . . . . . . . . . . . 

Finanzmärkte produzieren falsche Preise . . . . 

IV. Geld als Domäne des Staates . . . . . . . . . . . . . 

Geld, Banken und unternehmerische Haftung . 

Geld als Ware und der Monetarismus . . . . . . . 

Der Staat und die Zentralbank . . . . . . . . . . . . 

Die europäische Krise ist keine

»Staatsschuldenkrise« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

V. Moderne Wirtschaftspolitik und die Rolle des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

Welche Aufgaben stellt die Globalisierung der

Wirtschaftspolitik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

Rückbesinnung auf die Bedeutung von Arbeit  Eine neue Rollenverteilung für die

Wirtschaftspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

Klimawandel und Umweltschutz . . . . . . . . . .  Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

Vorwort

Die Globalisierung war eine wunderbare Idee. Nachdem die große politische Spaltung in Ost und West, in Planund Markt nach dem Fall der Berliner Mauer überwunden war, schien der friedlichen Kooperation aller Menschen nichts mehr im Wege zu stehen.Warum sollten die Menschen nicht in Freiheit miteinander kommunizieren und arbeiten und damit gemeinsam ihre persönliche Wohlfahrt mehren können?

Die hinter diesem Konzept der Globalisierung stehende Philosophie war denkbar einfach: Würde man nur die nationalen institutionellen Hürden aus dem Weg räumen, bildete sich auf globaler Ebene eine spontane gesellschaftliche Ordnung, in die sich jeder Einzelne nach seinen individuellen Fähigkeiten zum Nutzen aller einbringen könnte. Die globale Arbeitsteilung freier Menschen wäre die Krönung der uralten Idee des Liberalismus gewesen. Sie hätte die Freiheit des Individuums und gleichzeitig seine Effizienz maximiert. Der Traum vom freien und zugleich wohlhabenden Erdenbürger schien zum Greifen nah.

Alexis de Tocqueville, der Autor des großen Buches über (die Demokratie in) Amerika, hatte bereits im Jahr  erwartet, die Demokratie werde eine solche offene und global vernetzte Gesellschaft hervorbringen:

In demokratischen Zeitaltern bewirkt die gesteigerte Beweglichkeit der Menschen und die Ungeduld ihrer Wünsche, dass sie unaufhörlich ihren Standort wechseln und dass die Bewohner der verschiedenenLändersichvermischen,sichsehen,sichangehörenundnachahmen. Nicht nur die Angehörigen eines gleichen Volkes werden

sich so ähnlich; die Völker selber gleichen sich wechselseitig an, und alle zusammen bilden für das Auge des Betrachters nur mehr eine umfassende Demokratie, in der jeder Bürger ein Volk ist. Das rückt zum ersten Male die Gestalt des Menschengeschlechts ins helle Licht. (Zitiert nach Heidenreich , S. )

Doch die Hoffnungen Tocquevilles auf die segensreichen Folgen des »demokratisches Zeitalters« wurden vom realen Verlauf der Geschichte bitter enttäuscht. Es hätte nicht der Wahl eines Präsidenten Trump bedurft, um zu sehen, dass der ökonomische und politische Liberalismus, der die gesamte Welt in den vergangenen vierzig Jahren mehr als jede andere Idee geprägt hat, kläglich gescheitert ist.

Die Unzufriedenheit vieler Menschen, die in der Wahl eines offen reaktionären Präsidenten zum Ausdruck kam, belegt nicht nur die politische Unfähigkeit des Liberalismus, die nötige Balance zwischen Freiheit und Gleichheit zu wahren, sondernviel mehr noch seine Unfähigkeit, die sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhänge in komplexen modernen Gesellschaften in ihrer Interaktion angemessen zu deuten und darauf basierend tragfähige politische Konzepte zu entwickeln.

Während die philosophischen und politischen Probleme des Liberalismus intensiv diskutiert worden sind, ist immer noch unverstanden, warum er auf seinem ureigenen Gebiet – der Gestaltung der wirtschaftlichen Kooperation – so eklatant versagt hat. Bis heute hält die große MehrheitderÖkonomenandemDogmafest,»derMarkt« solle bei fast allen wichtigen gesellschaftlichen Entscheidungen die Führungsrolle übernehmen, und dem Staat stehe lediglich die Rolle eines Rahmensetzers und Lückenfüllers zu.

Das war schon immer eine unangemessene Vorstellung

von den Aufgaben eines Staates. Inzwischen ist sie jedoch schlicht durch die Realität widerlegt. Ja, es ist keine Übertreibung zu sagen, dass der Untergang des Liberalismus von vorneherein unvermeidlich war, da er weder für die unabdingbare globale Kooperation der Nationalstaaten noch für die daraus sich ergebenden Folgen auf der nationalen Ebene ein zufriedenstellendes intellektuelles Konzept entwickelt hatte.

Was bis heute nicht verstanden wird: Die wirtschaftliche Theorie hinter dem Liberalismus ist nicht nur an manchen Stellenunzureichend und verbesserungsbedürftig. Nein, diese »Theorie«, der man eigentlich schon das Signum einer Theorie nicht zugestehen sollte, ist prinzipiell nicht in der Lage, die Dynamik eines marktwirtschaftlichen Systems zu verstehen, und daher ungeeignet, um aus ihr valide politische Handlungsempfehlungen abzuleiten.

WeraufdemtheoretischenFundamentdesWirtschaftsliberalismus eine historische oder politische Analyse vornimmt, liegt zwingend falsch. Denn wirtschaftsliberale Theorien, insbesondere die sogenannte Neoklassik, interpretieren gesellschaftliche Systeme, die dynamisch und jeweils historisch einmalig sind, als ein wiederkehrendes Spiel von Zuständen (Gleichgewichtszuständen), dessen Grundcharakteristik vollkommen statisch und ahistorisch ist.

Aus einem dynamischen Ablauf, der essenziell aus sequenziellen Zusammenhängen besteht – also einer Abfolge von Ereignissen, die sich nur im Ablauf der realen Zeit begreifen lassen –, hat die liberale Ökonomik eine Kunstlehre entwickelt, bei der sich zeit- und geschichtslos Angebots- und Nachfragekurven schneiden. Liberale Öko-

nomik ist im Kern der gescheiterte Versuch, fast alle relevanten wirtschaftlichen Phänomene als die Lösung des Problems der Verteilung knapper Güter über einen perfekten Markt zu erklären.

Offensichtlich geworden ist die Konzeptionslosigkeit des Wirtschaftsliberalismus in der großen globalen Krise an den Finanzmärkten, die  begann und in den beiden Jahren danach die Weltwirtschaft erschütterte. Höchst ineffiziente Kapitalmärkte haben damals gezeigt, dass das Dogma der Überlegenheit der marktwirtschaftlichen Steuerung aller Wirtschaftsbeziehungennicht richtig sein kann. Aber auch die nicht enden wollende Arbeitslosigkeit, die obszöne, weil dysfunktionale Ungleichheit, die Hilflosigkeit bei der Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft und der in vielen Ländern der WeltimmerstärkerzunehmendeDruck,derArmutdurch

Abwanderung zu entkommen, zeigen, wie fundamental falsch die liberale Weltdeutung ist.

Dennoch kam der Wirtschaftsliberalismus – nach einem kurzen Intermezzo der Staatsintervention und einer aufkeimenden Einsicht in das fundamentale Versagen von Märkten – fulminant zurück. Es war schiere wirtschaftliche Macht, die den politischen Entscheidungsträgern unmittelbar nach der Krise klargemacht hat, dass der Staat zwar den Retter in der Not spielen darf, dass daraus aber keineswegs der Schluss gezogen werden könne, dass über die Aufgaben- und Machtverteilung zwischen Markt und Staat neu nachgedacht werden müsse.

Die Systemkrise, die sich damals offenbarte, ist inzwischen als Thema aus dem öffentlichen Diskurs weitgehend verschwunden. Überwunden aber ist sie keineswegs.

Deflationäre Tendenzen, Nullzinsen, die anhaltend hohe



Arbeitslosigkeit, die Krise des Freihandels und die Unfähigkeit, die Investitionsdynamik früherer Zeiten wiederzubeleben, belegen zehn Jahre später, dass von einer Rückkehr zur Normalität nicht die Rede sein kann.

Dieses Buch zeigt an den Brennpunkten der Globalisierung detailliert auf, warum die (neo)liberale Hoffnung, den Staat auf die Rolle eines Rahmensetzers und Lückenfüllers reduzieren zu können, getrogen hat. Die Kapitalmärkte beispielsweise brauchen tagtäglich Hilfestellung vom Staat, um überhaupt funktionieren zu können; die sogenannten Arbeitsmärkte brauchen die Stabilisierung durch den Staat ganz unmittelbar, und das Geldwesen ist – anders als es der Liberalismus glauben macht – eine Domäne des Staates.

Die überragende Bedeutung der staatlichen Steuerung der Marktprozesse führt die Nationalstaaten jedoch in ein Dilemma. Denn es gibt keinen Mechanismus, der dafür sorgen könnte, dass die auf nationaler Ebene gefundenen Preise, Löhne und Zinsen sich so ergänzen, dass schwere Konflikte zwischen den Staaten verhindert werden können. Daher ist die internationale Koordination der Politik unumgänglich, wenn eine Weltordnung angestrebt wird, die den intellektuellen und kulturellen Austausch zwischen Menschen aus unterschiedlichen Ländern, den Handel mit Gütern und Dienstleistungen zum Vorteil aller daran Beteiligten und die Bewegungsfreiheit des Einzelnen über die nationalen Grenzen hinweg ermöglicht.

Kurz gesagt: Der demokratische Nationalstaat braucht eine globale Ordnung, und die globale Ordnung braucht handlungsfähige Nationalstaaten. Denn nur in einem demokratischen Nationalstaat können die Preise gefunden



werden, die zugleich effizient und demokratisch legitimiert sind, und nur mithilfe eines globalen Ordnungsrahmens ist ein fairer Interessenausgleich zwischen den Staaten möglich.

Die Bewältigung dieser Aufgabe ist allerdings viel anspruchsvoller,alsesunsderliberaleMythosvonderspontanen Selbstregulierung gesellschaftlicher Systeme vierzig Jahre lang vorgegaukelt hat. Zentrale Voraussetzung für eine harmonische und friedfertige Koordination der Zusammenarbeit der Nationalstaaten ist nämlich ein übereinstimmendes Verständnis der zentralen ökonomischen Zusammenhänge.

Ein solches Verständnis hat es in den vergangenen dreihundert Jahren nur ein einziges Mal gegeben: Unter den Delegierten aus fast fünfzig Ländern, die sich am Ende des Zweiten Weltkrieges in dem kleinen Ort Bretton Woods im US-Bundesstaat New Hampshire trafen. Dort hat man sich in der Tat (allerdings ohne deutsche Beteiligung) erfolgreich auf die Grundzüge der Ausgestaltung eines globalen Geldsystems verständigt, das für mehr als zwanzig Jahre ein globales Wirtschaftswunder ermöglichte.

Heute sind die Aufgaben, die es auf der globalen Ebene zu bewältigen gilt, viel umfassender und komplexer. Insbesondere muss die ökologische Dimension der globalen Zusammenarbeit mit der ökonomischen Dimension in Einklang gebracht werden. Es ist keine Übertreibung, wenn man konstatiert: Die Staatengemeinschaft steht heute vor der größten Herausforderung der Menschheitsgeschichte.



I. Globalisierung und Digitalisierung – die Herausforderungen unserer Zeit

Fragte man die Menschen überall auf der Welt nach den größten Herausforderungen ihrer Zeit, die Antworten wären ziemlich ähnlich. Die meisten würden die Globalisierung und die Digitalisierung als die Phänomene identifizieren, die das Potenzial haben, ihr Leben entscheidend zum Guten wie zum Schlechten zu verändern.

Das ist mehr als erstaunlich. Die Digitalisierung ist zwar ein neues Phänomen, aber die Rationalisierung von Arbeit prägt die Menschheitsgeschichte schon seit Jahrhunderten, so dass man meinen würde, wir hätten inzwischen gelernt, damit umzugehen.Verwunderlich ist auch, dass es weder den internationalen Organisationen noch der internationalen Politik gelungen ist, für die sogenannte Globalisierung auch nur das Gerippe einer »Global Governance« vorzulegen, ja, dass noch nicht einmal begonnenwurde,diedamitaufgeworfenenFragenernsthaft zu diskutieren.

Woran liegt es, dass die Welt unfähig ist, die Folgen eines uralten Phänomens wie der Verdrängung menschlicher Arbeit durch technischen Fortschritt zu verstehen oder sich auch nur auf Grundzüge einer internationalen Wirtschaftsordnung zu einigen? Lässt sich das mit widerstreitenden Interessen der gesellschaftlichen Akteure erklären?Dochwer verhindert,dassetwadieArbeitnehmer und ihre Interessenvertreter wenigstens Lösungsansätze benennen? Und warum sollten die Interessen von Regierungen, die doch immerhin durch den Glauben an die wohltätige Wirkung des freien Handels, freier Märkte



und des freien Unternehmertums geeint sind, so unterschiedlich sein?

Esmusstieferliegende Gründedafürgeben,warumdie Politik nicht verstanden hat oder nicht verstehen will, wie eine funktionsfähige Wirtschaftsordnung auf nationaler und internationaler Ebene auszugestalten wäre. Offenkundig ist jedenfalls, dass eine solche Wirtschaftsordnung nur auf derBasis einerempirisch abgesicherten ökonomischen Theorie entworfen werden kann.

Doch eine solche umfassende ökonomische Theorie gibt es allerdings noch nicht. Entscheidend für jede neue Theorie muss aber sein, dass, wie wir das in diesem Buch versuchen, eine Neubestimmung des Verhältnisses von »Arbeit« und »Kapital« vorgenommen wird und »Geld« seinen Platz als zentrales Steuerungsinstrument der Wirtschaft einnimmt.

 

Warum ist die liberale Globalisierung gescheitert?

In den letzten Jahren hat sich eine Flut von Äußerungen über uns ergossen, die alle einen Tenor haben: Globalisierung und Digitalisierung überfordern die Masse der Menschen. Sie verunsichern die Bürger und Wähler, die sich daher vermehrt dem »Populismus« verschreiben. Sie liefen also denen hinterher, die versprechen, sie seien in der Lage, die unumgänglichen Anpassungsschmerzen, die von derGlobalisierungundderDigitalisierunghervorgerufen werden, zu lindern oder gar zu verhindern.

Die Wahl Donald Trumps in den USA und die Stimmengewinne »extremistischer« Parteien in ganz Europa,



wie zuletzt die der deutschen AfD, werden von den Leitmedien und den Parteien »der Mitte« fast unisono diesem Globalisierungs-/Digitalisierungskomplex zugeschrieben. Ob zunehmende materielle Ungleichheit oder Unzufriedenheit mit der eigenen wirtschaftlichen Situation, alles ist am Ende aus der konventionellen Sichtweise das Ergebnis der mangelnden Bereitschaft der Menschen, sich den Anpassungserfordernissen der neuen Welt zu stellen, die dem Einzelnen zwar wehtun mögen, im Großen und Ganzen aber unseren Wohlstand erhöhen. Wollt ihr, so die unterschwellige Botschaft der Populismuswarner, die bittereMedizinvon»Flexibilität«und»Anpassungsbereitschaft« nicht schlucken, wird euch am Ende der Populismus mit seiner unerträglichen Leichtigkeit des Seins zur Hölle schicken.

Die Kritik an der Globalisierung ist scheinbar umfassend, aber sie ist zugleich unkonkret und unstrukturiert, weil bei allen unterschiedlichen Blickrichtungen und ganz unterschiedlicher Kritik praktisch nie infrage gestellt wird, dass der freie Handel Gutes tut. Die Globalisierung, sagt etwa Peter Bofinger, schade zwar dem Einzelnen, nütze aber den Nationen (Kaufmann ). Die Manager in Deutschland und anderswo seien in Alarmstimmung, schreibt beispielsweise das Handelsblatt (Reuters ), weil es immer mehr Menschen schwierig finden, mit der sich schnell verändernden Welt klarzukommen. Man fürchtet neue Handelskriege, weil die Populisten nicht bereit sind, die notwendigen Härten des globalen Strukturwandels gegen den Widerstand ihrer Bevölkerung durchzusetzen. Thomas Fricke sieht die »entgleiste Globalisierung« als das entscheidende Problem unserer Zeit an (Fricke ) und findet gar einen engen Zusammen-



hang zwischen der Globalisierung und den Suizidraten in bestimmten Regionen der USA (ebd.), kommt aber nicht auf die Idee, zu fragen, an welcher Stelle und warum die Globalisierung entgleist ist.

Mark Schieritz fürchtet in der Zeit, dass Deutschland für sein »Bemühen«, als Vorsitz der G die »Wunden der Globalisierung zu heilen«, kaum internationale Partner findet (Schieritz ), vergisst aber geflissentlich, dass Deutschland selbst mit seinen Handelsbilanzüberschüssen jeden Tag neue Wunden schafft. Seine Kollegen in der gleichen Gazette sehen einen Aufstand gegen den Freihandel, obwohl es doch, so ihre feste Überzeugung, in Deutschland mehr Gewinner als Verlierer des Freihandels gibt (Nienhaus & Tönnesmann ). Ob Deutschland vielleicht ein besonderer Gewinner ist, vergessen auch sie zu fragen. Dazu gesellt sich Pascal Lamy (ein früherer Generaldirektor der Welthandelsorganisation), der zum Besten geben darf, dass »Populisten« sagen, Importe seien schlecht und Exporte gut, obwohl jeder drittklassige Ökonom (Lamy ist kein Ökonom) wisse, dass das Unsinn sei. Woher aber Lamy weiß, dass Importe gut sind, erfährt man nicht.

Das ARD-Magazin Plusminus schafft es (Krull ), mithilfe der Bertelsmann-Stiftung und des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln zu »erklären«, dass Freihandel auf jeden Fall gut ist. Julian Nida-Rümelin glaubt (Nida-Rümelin ), dass Phasen der Entglobalisierung sehr gefährlich seien, was man daran erkennen könne, dass eine solche Phase Mitte des vergangenen Jahrhunderts im »Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg« geendet habe. In der FAZ, wie könnte es anders sein, wird ausführlich beschrieben (Armbruster ),



wiesehrderfreieHandelvonderGegenseitigkeitlebtund daher keineswegs einseitig zu Lastenbestimmter Länder gehen könne – wenn auch Härten für Einzelne freilich leider nicht zu vermeiden seien. Auch hier kommt der deutsche Fall nicht vor.

Richard David Precht, Philosoph,Weltversteher, Autor und Entertainer, wiederum hat die Digitalisierung entdeckt, die den Menschen die Arbeit nimmt (vgl. z.B. Phoenix ). Er wird nicht müde, davor zu warnen, dass uns ungefähr übermorgen die Arbeit ausgehen wird. Die dritte, die digitale industrielle Revolution droht, Chaos und Umsturz erschienen am Horizont, Gewerkschaften würden obsolet, die SPD verliere ihre Arbeiterklientel, und die Parteien hätten insgesamt keine Antworten auf die enormen neuen gesellschaftlichen Herausforderungen. Die CDU habe gar nichts verstanden, die Linke wolle zurück in die siebziger und die AfD sogar zurück in die fünfziger Jahre.

Wie weit neben der Sache die aktuelle Diskussion zur sogenannten Digitalisierung liegt, hat Philip Plickert in der FAZ (Plickert ) eindrucksvoll demonstriert. Die dort zitierten »Experten« begreifen offenbar nicht, dass sie einem uralten Vorurteil aufsitzen. So sagt der Arbeitsmarktforscher Richard Freeman von der Universität Harvard: »Sobald Roboter und Computer etwas billiger erledigen können, nehmen sie den Menschen die Jobs ab – außer, diese sind bereit, weniger Lohn zu akzeptieren.«

Das ist falsch. Natürlich werden durch den technischen Fortschritt immer wieder bestimmte Jobs (nicht aber

»Jobs schlechthin«) vernichtet, weil Maschinen etwas besser, zuverlässiger und schneller können. Das hat sich seit Beginn der Menschheitsgeschichte nicht geändert. Und



wenn die Menschen von Beginn der Rationalisierung (die weit vor derIndustrialisierungbegann) anerfolgreichversuchthätten,denVerlusteinesbestimmtenArbeitsplatzes (ihres Arbeitsplatzes) durch Lohnsenkung zu verhindern, hätte es den steigenden materiellen Wohlstand schlicht nicht gegeben.

Das erkennt sogar der Autor der FAZ, wenn er richtigerweise feststellt:

Auf die Dauer hat sich nicht bewahrheitet, dass die neue Industriewelt keine Arbeitsplätze mehr bietet – im Gegenteil. Durch steigende Produktivität nahm mit der Zeit der Wohlstand auch in der BreitederBevölkerungzu.DerEinsatzmodernerMaschinenverbilligte die Produktion, die Preise fielen, und damit konnte auch die Nachfrage zunehmen. Statt der alten Berufe in Landwirtschaft und Handwerk, die überflüssig geworden waren, bildeten sich neue Industrieberufe heraus.

Er kann aber keine vernünftige Schlussfolgerung daraus ziehen, weil er nicht zugeben kann, dass es steigende Löhne sind, die man braucht, um die Rationalisierung abzufedern. Daher schreibt er schwammig über »steigenden Wohlstand und steigende Produktivität«, kann aber nicht erklären, warum die Preise fallen müssen, damit der Wohlstand steigen kann.

Das vergiftete Angebot des Neoliberalismus

Der neue Wirtschaftsliberalismus trat in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit dem Versprechen an, mithilfe einer einzigen zentralen Stellschraube alle wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Das Stichwort dazu heißt »Flexibilisierung«. Gemeint war zwar die Fle-



xibilisierung aller Lebensbereiche, aber vorneweg und in der Hauptsache ging es um den sogenannten Arbeitsmarkt. Inflexible Löhne waren aus der großen Kontroverse zwischen dem Keynesianismus (entstanden in den dreißiger Jahren des . Jahrhunderts) und der alten klassischen Gedankenwelt vom Beginn des . Jahrhunderts (begründet vonAdamSmithundDavidRicardo,aberentscheidend modifiziert und zu einer allgemeinen Theorie der Märkte umgebaut von Léon Walras) als das entscheidende Merkmal des neuen gesamtwirtschaftlichen Denkens hervorgegangen.

Inflexible Löhne wurden jedoch auch in der neuen, keynesianischen Gedankenwelt, die sich erstmals in der Geschichte der Ökonomik (auch Karl Marx blieb einzelwirtschaftlichem Denken verhaftet) auf die Analyse gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge konzentrierte, als hinzunehmendes Übel angesehen oder gar als soziale Errungenschaft, die man aus politischen Gründen nicht infragestellensollte.AuchimZugederkeynesianischenRevolution wurden inflexible Löhne nur selten explizit als eine entscheidende Voraussetzung für erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung angesehen. Deswegen stellte man sichindensiebzigerJahrendesvergangenenJahrhunderts nur halbherzig gegen den Versuch der Vertreter des alten liberalen Paradigmas, erneut die Flexibilität aller Preise einschließlich der Löhne als den wichtigsten Faktor einer erfolgreichen Entwicklung der Wirtschaft hervorzuheben.

Als im Gefolge der Ölpreisexplosionen in den siebziger Jahren hohe Inflation und hohe Arbeitslosigkeit zugleich auftraten (die berühmte Stagflation), war die Stunde der Liberalen gekommen. Nun konnten sie scheinbar über-



zeugend belegen, dass Systeme, in denen der wichtigste Preis einerMarktwirtschaft, derPreis für Arbeit nämlich, inflexibel ist, unlösbare Konflikte schaffen, die mit den Rezepten des Keynesianismus nicht zu bekämpfen sind. Nur flexible Preise und unabhängige Notenbanken, so die Botschaft des »neuen Wirtschaftsliberalismus«, würden die Bedingungen schaffen, die es erlaubten, diese Probleme in den Griff zu bekommen. Der Neoliberalismus verband sich mit dem Monetarismus und schuf auf diese WeiseeinnurschwerzuüberwindendestheoretischesBollwerk. Monetarismus ist die uralte Lehre, die darauf setzt, es könnegelingen,eine Geldmenge zudefinierenund technokratisch so zu steuern, dass die Inflation für immer zu einer Randerscheinung des Wirtschaftsgeschehens degradiert würde.

Doch was dieser »Neoliberalismus« an konstruktiven Lösungen zur Überwindung der Probleme der wirtschaftlichen Entwicklung anbot, war extrem dürftig und gar nicht so neu. Neben der Flexibilisierung allerPreisekannte und kennt er nur den freien Handel als notwendige und hinreichende Bedingungen für Wohlstand und wirtschaftliche Entwicklung. Folglich wurde die Globalisierung als das Mittel schlechthin erachtet, um dafür zu sorgen, dass überall auf der Welt freie Unternehmer auf freien Märkten das tun, was sie nach Meinung der Wirtschaftsliberalen besser können als jeder Staat: die Chancen des technischen Fortschritts über unternehmerische Investitionen konsequentnutzenunddadurchdieoptimaleVersorgung aller Menschenmit Wirtschaftsgütern aller Art sicherstellen.

Betrachten wir also die Lösungsvorschläge des Neoliberalismus genauer und beginnen mit der Frage, ob es

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